Ihr lieben kleinen Sterne

Warum bleibt ihr so ferne

Ihr lieben kleinen Sterne

Ihr lieben kleinen Sterne, 
Warum bleibt ihr so ferne? 
Ich hab' euch doch so gerne. 

Lieb' Kind, wir halten Wacht 
In mancher schönen Nacht. 

Die Sterne mir gefielen 
Ich möcht' mit ihnen spielen, 
Sie streicheln, sie befühlen. 

Lieb' Kind, wir halten Wacht, 
Wir geben auf dich Acht. 

Ach, kommt zu mir herunter, 
Ihr schönen Gotteswunder!  
Ich bin doch wach und munter. 

Lieb' Kind, wir halten Wacht, 
Jetzt schlafe  --  gute Nacht! 

Ludovica des Bordes

Maria Ludovica Katharina Freifrau von des Bordes, geborene Brentano (1787 – 1854), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Kinderliederschreiberin

Das Lied ‚Ihr lieben kleinen Sterne‘ wurde mehrmals vertont.

Der Schmetterling

Dies Wunder der Natur entging

Der Schmetterling
auf einem Vergißmeinnichtchen

Ein Blümchen, das sich zwar nicht mehr
Für unsre Lage schickt,
Hab' ich doch, Freund, von Ungefähr
Für dich jüngst abgepflückt.

Denn wiss', als ich es pflückte, hing
Ein Schmetterling daran.
Ich sah, dass auch ein Schmetterling
Dies Blümchen lieben kann.

Dies Wunder der Natur entging
Dann meinem Blicke nicht:
Drum schick' ich dir den Schmetterling
Und das Vergißmeinnicht.

Gabriele Baumberg

Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid

Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid ·
Goss nicht tau · entfaltete keine feder ·
Schloss die lippen fest und metallnen auges
Stand er und sah mich.

Mir dem wach daliegenden kam ein traumbild
Ohne schlummer über das meer · mich rührend ·
Rührte sanft mir lippe und lid und ich dann ·
Voll von dem traumbild 

Sah wie weiss unsöhnbar die Aphrodite
Losen haares ohne sandal am fusse
Schien mit glut von westlichen meeressonnen ·
Sah den gesträubten

Fuss · die straffen federn des taubenzuges ·
Schauend immer · schauend den hals gewendet
Rück nach Lesbos · rück zum gebirg worunter
Schien Mitylene 

Hörte hinter ihr der eroten fliehe
Auf den wassern plötzliche donner machend
Wie der donner fährt von den stark entspannten
Schwingen des sturmwinds.

So verliess die göttin ihr heim mit furchtbarm
Schall von tritt und donner von schwingen um sie ·
Während rückwärts singender fraun gelärme
Drangen durchs zwielicht.

O des sangs · der seligkeit · o der gierde!
Die eroten lauschten in tränen · angst-siech
Standen die neun musen gekrönt um Phöbus ·
Furcht lag auf ihnen 

Da die zehnte sang: ihnen fremde wunder.
O die zehnte Lesbische! alle schwiegen ·
Keine trug den schall dieses lieds vor weinen ·
Lorbeer auf lorbeer

Dorrten alle kränze · doch ihr ums haupt her
Rings um ihre flechten und aschnen schläfe
Weiss wie grabschnee · bleicher als gras im sommer ·
Küsse-verwüstet 

Schien ein licht von feuer als ewge krone ·
Ja fast die unsöhnbare Aphrodite
Hielt und weinte fast · so ein sang war der sang.Ja auch bei namen

Rief sie: zu mir wende dich · meine Sappho!
Doch sie · abgewandt den eroten · sah nicht
Tränen statt gelächter der göttin auge
Trüben · vernahm nicht

Schreckhaft stosshaft schwingen der taubenflügel·
Sah nicht · dass der busen der Aphrodite
Weinend bebte · sah nicht ihr bebend kleid · ihr
Ringen der hände 

Sah die Lesbier über zerschlagne lauten
Küssend · lippen süsser als lautenstränge ·
Mund auf mund und hand zwischen hand dertrauten ·
Schöner als männer

Sah allein die lippen und schönen finger ·
Voll von sang und küssen und kleinem wispern ·
Voll von tönen · schaute nur unter ihnen
Steigen wie vögel

Neulings flück · den sichtbaren sang · ein wunder
Von vollkommenem ton und liebesunmass ·
Süss geformt und furchtbar voll donners trug er
Schwingen des windes.

Dann entzückt und lachend vor liebe streut sie
Rosen · hehre rosen von heiliger blüte ·
Die eroten hüllten sich trüb und drängten
Um Aphrodite 

Und die musen schwiegen · ins herz getroffen ·
Götter wurden bleich · so ein sang war der sang ·
Alle sträubend · alle mit frischem schauder
Flüchteten vor ihr ...

Alle flohn seit längst und das land ward öde ·
Voll von brachen frauen und tönen einzig.
Jezt vielleicht · wenn winde sich abends legen ·
Lullend beim taufall

Kehrt zum grauen seestrand die unerlöste
Ungeliebte im dämmerlicht ungesehne
Schar zurück der klagend verworfnen fraun die
Lethe nicht reinigt

Rings umhüllt von tränen und glut und singend ·
Und das herz des himmels erschüttert pochend
Und das herz der erde vor mitleid brechend ·
Hört sie zu hören.

Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Wunder

Daß die lauen Abendwinde

Wunder

Daß die Lerchen wieder singen,
Daß sich Schmetterlinge schwingen,
Gelb und schwarz mit goldnem Saum,
Daß sich grüne Gräser treiben,
Auch nicht eins zurück will bleiben,
Man glaubt es kaum.
 
Daß sie bricht, die starre Binde,
Daß die lauen Abendwinde
Knospen zieh'n aus Busch und Baum,
Daß die Amsel tiefe, volle
Töne durch die Wälder rolle,
Man glaubt es kaum.
 
Daß man durch die Luft, so milde,
Kinderschaaren, liebe wilde,
Jauchzen hört im fernen Raum –
Lang im dumpfen Haus gesessen,
Aber schnelle, schnell vergessen –
Man glaubt es kaum.
 
Und es will mich immer fragen,
Mir in's Ohr ein Wörtlein sagen,
Und es ist mir wie im Traum,
Daß ich selbst vor Jahren, Jahren
Spielte mit den Kinderschaaren,
Man glaubt es kaum.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder aus den sieben Reichen,
Die bald Zitronenfalter, groß an Stielen,
Bald Zwergflamingos, die in Büsche fielen,
Bald Muscheln sind aus zauberstillen Teichen,

O meine Rosen. Herzen. Mögt ihr bleichen,
Erschlafft, erschöpft von weißen Sonnenspielen,
Verzehrt vom Überschwang, dem Allzuvielen;
Tragt singend euch zu Grabe, süße Leichen!

Ich will euch doch vom lieben Zweig nicht trennen,
Euch nicht im engen, lauen Glase wissen,
Die kurze Spanne Blühn euch kunstreich dehnen.
O gut: an unermeßnem Glanz verbrennen,
Statt, von der heißen Erde fortgerissen,
Ein langes schales Leben hinzusehnen.

Gertud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin