Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete

Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete
Und immer Jammer, immer Tränen, Flehen, -
Ich Unglückselige - was wird aus mir!

Kaum spüre ich des Sommers laue Nächte,
Da zieht der Winter wieder über Land,
Und rauh und häßlich wird der Wind der Frühe.

Jetzt kommen schon die wilden Schwäne wieder;
Mein Herz ist voller Qual. Wie oft, wie oft
Sah ich euch gehn und kommen, wilde Vögel!

Verschwenderisch erblühn die Chrysanthemen, -
Doch diese Blume hier, versehnt, verkümmert,
Hat niemand denn sie abzupflücken Lust?

Ich sitze ewig nur an meinem Fenster, -
Ist denn der Tag noch immer nicht zu Ende?
Ein feiner Regen näßt die Blüten rings.

Auf leisen Sohlen steigt die Dämmerung nieder,
Der Abend kommt, die Nacht umfängt die Erde, -
In mir jedoch bleibt alles, wie es war.

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete, -
Wer zieht den Dorn aus meinem wunden Herzen?
Verzweiflung wühlt in mir und tötet mich.. !

Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.
Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

Gerog Trakl

Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.

Winternacht

Lichtlein in Nacht verglüh’n

Winternacht
(vom Liebchen)

Hu, wie in kalter Fluth
Rinnet das heiße Blut,
Nachtfrost durchschüttelt mich,
Winter ist fürchterlich.

Athem aus off'ner Gruft
Strömet die eis'ge Luft,
Schlägt an die Wange rauh,
Färbt mir die Locke grau.

Sieh' wie die Schatten zieh'n,
Lichtlein in Nacht verglüh'n,
Alles ist todt und weiß,
Bin wohl allein nur heiß?

Echo vom Abschieds-Gruß
Seufzt unter meinem Fuß,
Trägt mich von Lust durch Graus
Heim zu dem öden Haus.

Schnee in dem weißen Arm
Halt' mir die Knospen warm!
Liebchen an deiner Brust
Ließ ich des Lebens Lust.

Kalt auch das Stübchen?
Warm sind die Lieder -
Gute Nacht Liebchen!
Ich seh' dich wieder!


Karoline von Fidler

Karoline von Fidler (1801-1874), deutsche Dichterin. andere Namen: Karoline Winkler, Karoline Charlotte Schultz


Wintertraum

Noch keine jungen Triebe an den Bäumen

Wintertraum
 
Der finst're König Frost hält mich gefangen,
Ich trage seiner Fesseln starres Erz,
Bleich wie sein Leichentuch sind meine Wangen,
Des Todes Ahnung schauert durch mein Herz,
Und wie des Blaubarts Weib in grauser Stunde
Verzweifelnd forschte nach der Rettungskunde
So frag' ich, gramentstellten Angesichts,
Mein spähend Aug': Siehst du noch nichts? noch nichts?
 
Noch keine jungen Triebe an den Bäumen,
Noch keinen Sonnenpfeil, der fliegt und trifft,
Noch keinen Purpur an den Wolkensäumen,
Noch keine fromme Primel auf der Trift?
Noch nichts, was des Befreiers Nah'n verkündet,
Ein zagend Herz mit neuem Muth entzündet?
Noch keinen Schimmer wärmern, reinern Lichts?
Mein treues Aug'! siehst du noch nichts? noch nichts?
 
Schon holt der finst're König aus zum Streiche -
O Retter Lenz! sieh' her auf meine Qual!
Willst du denn erst auf meine starre Leiche
Herniedergießen deinen milden Strahl?
Dies Herz, das heiß entgegen dir geschlagen,
Dein schönes Bild so treu in sich getragen,
In wilder Sehnsucht dunklem Jammer bricht's -
Unselig Aug': siehst du noch nichts? - »Noch nichts!«

Betty Paoli

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Frühlingsahnung

Doch ich weiß: zur Wonne geht

Frühlingsahnung

Wenn des Winters starrer Traum
Berg und Flur mit Schnee bedecket,
Jeder dürre Zweig am Baum
Jammernd sich gen Himmel strecket:

Kannst du da begreifen, sag′
Wie nach wen′gen Mondesneigen
Der jetzt frosterstarrte Hag
Einen Blüthenflor wird zeigen?
 
Doch du weißt, der lichte Trost
Naht auf unsichtbaren Wegen
Und im rauhen Winterfrost
Lächelst du dem Lenz entgegen.

Und so kann, so kann auch ich
Nicht begreifen und nicht fassen,
Wie in meiner Seele sich
Noch ein Glück wird ziehen lassen.

Doch ich weiß: zur Wonne geht,
Wer da wallt auf Dornenbahnen,
Und durch meinen Winter weht
Ein tief selig Frühlingsahnen!

Betty Paoli 

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Herbst

Weht flatternd das Geäst der alten Weide

Herbst

Herbstregen sprüht auf Stoppelfeld und Heide,
Aufschauernd bebt die Erle, nackt und bar,
Und wie im Sturm des Bettlers greises Haar
Weht flatternd das Geäst der alten Weide.
Fort mit den Schwalben flog die Sommerfreude,
Der Wald ist stumm, die Sonne blöd' und blind,
Der letzten Halme letzte Träne rinnt,
Eh' sie zum Schlaf die müden Köpfchen senken.
Bald deckt ihr Grab mit Schnee der Winterwind,
Und bald auch deins. Nun magst du, Menschenkind,
Des eingnen Endes sorgenvoll gedenken.

 Friedrich Wilhelm Weber

Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker

Frühlingsfreude

Und hör‘ ich dein helles Lachen

Frühlingsfreude

Seh' ich erst wieder blühen
Die Rosen auf deinen Wangen,
So ist mir nie so lieglich.

Mag ich dein Aug' erst wieder
In stiller Klarheit schauen,
Nie war mir lieber die Wonne
Nach langem Wintergrauen.

Und hör' ich dein helles Lachen
Erst wieder klingen und schallen,
Was kümmert mich die Lerchen,
Die Drosseln und Nachtigallen? - 

Nun rede nicht vom Winter,
Wie schwer und trüb er gewesen:
Der Frühling ist gekommen
Und du, du bist genesen!

 Friedrich Wilhelm Weber

Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker

Glasglocken

Auf alten Schnee sind etliche gestellt

Glasglocken

Glasglocken ihr! 
Seltsame Pflanzen, immerdar geschützt,
Und draussen stürmt der Wind durch meine Sinne!
Ein ganzes Tal der Seele ewig regungslos
Und feuchte Wärme, mittags eingeschlossen!
Die Bilder, die man an des Glases Oberfläche sieht!


Hebt niemals eine auf!
Auf alten Mondschein sind ein paar gestülpt.
Blick' durch das Blattwerk:
Es sitzt vielleicht ein Landstreicher auf dem Thron,
Man meint, Seeräuber lauerten auf einem Teich,
Und Vorwelttiere drohen Überfall den Städten.

Auf alten Schnee sind etliche gestellt,
Gestülpt sind andre über alten Regen.
(Habt Mitleid mit dem eingeschlossnen Dunst!) 
ch hör' ein Fest am Sonntag feiern in der Teurung,
Ein Lazarett ist auf dem Erntefeld,
Und alle Königstöchter irren an einem Fasttag durch die Auen!

Gib acht auf die am Horizont zumal!
Sie decken alte Ungewitter sorgsam zu!
O, irgendwo muss eine grosse Flotte im Sumpfe sein!
Und Schwäne haben, deucht mich, Raben ausgebrütet!
(Kaum sieht man durch den feuchten Dunst!)

Eine Jungfrau begiesst Farnkraut mit heissem Wasser,
Und eine Schar von kleinen Mädchen belauscht den Klausner in der Zelle.
In einer gift'gen Grotte Grund sind meine Schwestern eingeschlafen!
O harrt, bis endlich Mond und Winter Die Glocken decken, rings im Eis verstreut!

O harrt, bis endlich Mond und Winter
Die Glocken decken, rings im Eis verstreut! 

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.