Lorbeer

Dem allzu ungestümen Liebeswerbe

Lorbeer

Dem allzu ungestümen Liebeswerben
Entrang sich Daphne einst. An wildem Herzen
Verwandelt' sie sich jäh zum kühlen Lorbeer.

Dem allzu ungestümen Liebeswerben
Um Ruhm verwandelt jäh die Glückschimäre,
Das schöne, gleissend schöne, kalte Weib,
Noch heut', noch stündlich sich in spitzen Lorbeer;
Den drückt der Liebestolle an die Brust,
Den drückt die Welt ihm lächelnd auf das Haupt.
Da dringe?! ihm die spitzen, scharfen Blätter
In Herz und Hirn. So giebt der Mitwelt er,
Der Nachwelt, tropfenweis, sein ganzes Selbst,
Sein Herzblut, all' sein Leben, seine Seele.

Doch droben, üppig, schattenkühl und blühend,
Wölbt sich im Garten des Olymp der Hain
Scharf duftend spitzer, glatter Daphneblätter
Am Todesbaume allen Menschenglücks,
Der ewiggrüne Lorbeer!

Hermine von Preuschen

Hermione von Preuschen (1854 – 1918), deutsche Malerin, Dichterin

Die Töne

Ihr tiefen Seelen, die im Stoff gefangen

Die Töne

Ihr tiefen Seelen, die im Stoff gefangen,
Nach Lebensodem, nach Befreiung ringt;
Wer löset eure Bande dem Verlangen,
Das gern melodisch aus der Stummheit dringt?
Wer Töne öffnet eurer Kerker Riegel?
Und wer entfesselt eure Ätherflügel?

Einst, da Gewalt den Widerstand berühret,
Zersprang der Töne alte Kerkernacht;
Im weiten Raume hier und da verirret
Entflohen sie, der Stummheit nun erwacht,
Und sie durchwandelten den blauen Bogen
Und jauchzten in den Sturm der wilden Wogen.

Sie schlüpften flüsternd durch der Bäume Wipfel
Und hauchten aus der Nachtigallen Brust,
Mit mutigen Strömen stürzten sie vom Gipfel
Der Felsen sich in wilder Freiheitslust.
Sie rauschten an der Menschen Ohr vorüber,
Er zog sie in sein innerstes hinüber.

Und da er unterm Herzen sie getragen,
Heisst er sie wandlen auf der Lüfte Pfad
Und allen den verwandten Seelen sagen,
Wie liebend sie sein Geist gepfleget hat.
Harmonisch schweben sie aus ihrer Wiege
Und wandlen fort und tragen Menschenzüge.

Karoline von Günderrode

Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderrode (1780 – 1806), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Die Möwe

In hoher Luft die Möve zieht

 Die Möve

In hoher Luft die Möve zieht
Auf einsam stolzen Wegen,
Sie wirft mit todesmuth'ger Brust
Dem Sturme sich entgegen.

Er rüttelt sie, er zerrt an ihr
In grausam wildem Spiele -
Sie weicht ihm nicht, sie ringt sich durch,
Gradaus, gradaus zum Ziele.

O laß mich wie die Möve sein,
Wie auch der Sturm mich quäle,
Nach hohem Ziel, durch Kampf und Noth:
Gradaus, gradaus, o Seele! 

Anna Ritter

Anna Ritter, geborene Nuhn (1865-1921), deutsche Schriftstellerin, Dichterin