sich so ihres Lebens freun

Orchis neigt im Lenz die schlanken Blätter

Orchis neigt im Lenz die schlanken Blätter,
Kassia blüht im Herbste weiß und rein,
Werden, wachsen, ihnen ist es Wonne,
Wenn sie sich so ihres Lebens freun.

Wer denn weiß, wie die Waldbewohner
Winden lauschen, still im Grund, vergnügt?
Gras und Bäumen ist ein Eigenwesen,
Warten nicht, daß sie die Schöne pflückt.

Chang Chiu-Ling (673 – 740), chinesischer Dichter, Politiker. Auch Zhang Jiuling; Chang Tiou-Lin; Dschang Giu Ling; Tchan-Tiou-Lind.

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.
Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

Gerog Trakl

Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.

Maler und Tierfreund

Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt

Maler und Tierfreund

Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt,
Und sie gefiel mir sehr:
Ein blauer Himmel, aus dem die Sonne wie Wonne strahlt,
Und darunter weites, ruhiges, grünes Meer.

„Einsame Sehnsucht.“


Danach fuhr ich irgendwo hin,
Um einen kleinen Affen zu erwerben,
weil ich ein Tierfreund bin.
Aber was einem die Tiere nicht alles verderben.


Wieder zu Haus, stieß ich aus einen Schrei,

Denn mein Bild war verhext.
Erstens hatte mein Papagei
Etwas Groteskes ins Meer gekleckst
Und das geradezu künstlerisch kühn.

Aber das Wasser selber war abgeleckt

Von meinem Wolfshund. Der lag vom Schweinfurter Grün
Vergifet am Boden, verreckt.

In den Himmel hatte sich eine Fliege geklebt,
Und zwar mir dem Rücken.

Die strampelte, wie man, wenn man Großes erlebt,

Mit den Beinen strampelt vor lauter Entzücken.

Und offenbar nicht minder beglückt

In ihrer Nähe
Hing auch mein Laubfrosch ans Bild angedrückt

Und tat so, als ob er die Fliege nicht sähe.

Da wollte mein Affe mit lautem Geschrei – – –
Doch ich band ihn fest. Und lächelte dann.
Wie gut, daß man bei der Ölmalerei
Alles noch übermalen kann.


Mit Phantasie das Gegebne fixiert –

Genie und Farbe und Lichter dick aufgetragen –
Schwarz, Weiß, Rot, Ocker mutig darübergeschmiert – – –
Ein schönes Bild, muß ich selber sagen,
„Mein Selbstporträt.“ 

Joachim Ringelnatz

Hans Bötticher (1883 – 1934), deutscher Dichter, Schriftsteller, Maler. Pinko Meyer, Fritz Dörry und Gustav Hester, Gustav Dörrig, Fritz Bötticher

Gasel

Gasel


Auf deiner Lippe sprosst der erste Flaum,
In deinem Herzen keimt der erste Traum,
So stehst du scheu und keusch und heilig da,
Ein holder Knabe noch, ein Jüngling kaum.
Der Himmel blaut in deinem tiefen Blick
Und eine Kirche deines Herzens Raum.
Du hebst entzückt des Lebens Taumelkelch
Und schlürfst mit Andacht nur den weißen Schaum,
Du schaust mir selig nicht ins Angesicht,
Du küssest leise meines Kleides Saum.

Maria Holm

Maria Auguste Minna von Hedenström (1845 – 1912), deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Lehrerin