Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete

Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete
Und immer Jammer, immer Tränen, Flehen, -
Ich Unglückselige - was wird aus mir!

Kaum spüre ich des Sommers laue Nächte,
Da zieht der Winter wieder über Land,
Und rauh und häßlich wird der Wind der Frühe.

Jetzt kommen schon die wilden Schwäne wieder;
Mein Herz ist voller Qual. Wie oft, wie oft
Sah ich euch gehn und kommen, wilde Vögel!

Verschwenderisch erblühn die Chrysanthemen, -
Doch diese Blume hier, versehnt, verkümmert,
Hat niemand denn sie abzupflücken Lust?

Ich sitze ewig nur an meinem Fenster, -
Ist denn der Tag noch immer nicht zu Ende?
Ein feiner Regen näßt die Blüten rings.

Auf leisen Sohlen steigt die Dämmerung nieder,
Der Abend kommt, die Nacht umfängt die Erde, -
In mir jedoch bleibt alles, wie es war.

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete, -
Wer zieht den Dorn aus meinem wunden Herzen?
Verzweiflung wühlt in mir und tötet mich.. !

Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,

Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,
Ich höre, wie der Wind am Fenster rüttelt,
Und meine Träume schwinden ganz dahin.

Ich steige aufwärts in das Aussichtszimmer,
Einst rührt ich hier mit meiner schönen Nadel
Aus Jade sinnend in der Glut der Kohlen.

Jetzt ist die Glut dahin. Es ist vergebens,
Daß meine Nadel durch die Asche tastet,
Ich seh in das Gebirge, schmerzumflort.

Ein grauer Regen düstert in der Landschaft.
Der Nebel weht. Der Fluß wälzt schwere Wogen, -
Doch meinen Jammer wälzt er nicht hinweg.

Auf meines Umhangs dunkelm Tuche schimmert
Der Regen meiner bitterlichen Tränen;
Die wilden Schwäne schreien unter mir.

Ich schüttle meine armen Tränen nieder
Auf die erwachten Vögel, - fliegt, o Vögel!
Bringt meine Tränen ihm, der mich verzehrt!


Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Ode an die Lerche

In holden Liebessang, berauscht von Lust und leid

Ode an die Lerche

Heil dir, Geist der Lieder!
Vogel bist du nicht,
Der vom Himmel nieder
Aus dem Herzen schlicht
Mit ungelernter Kunst in muntern Weisen spricht.

Feuerwolken gleich,
Hoch und höher schwingest
In der Lüste Reich
Du dich auf, und klingest,
Und singend steigst du stets, wie steigend stets du singest.

In der Abendsonne
Goldner Strahlenpracht
Schwebst du voller Wonne
Hin und wieder sacht,
Gleich körperloser Lust, die lind das Herz entfacht.

In die Purpurwellen
Tauchst du sanft hinein; –
Gleich dem Stern beim hellen,
Klaren Tagesschein,
Sieht man dich nicht, doch hör' ich deineMelodein.

Wie der Silbersterne
Strahlenschimmer sprüht,
Dessen Licht, das ferne,
Morgens schnell verglüht,
Und doch fortleuchtet, ob der Blick es kaum mehr sieht.

Deiner Lieder Reigen
Erd' und Luft durchschwillt,
Wie in nächt'gem Schweigen
Einer Wolke mild
Des Mondes Licht, das rings den Himmel hellt,entquillt.

Aehnlich dir an Segen
Nichts die Welt umschließt.
Nie so goldner Regen
Bunter Wolk' entfließt,
Wie deiner Lieder Fluth harmonisch sich ergießt.

Wie ein Dichter, singend,
Was sein Herz empfand,
Jede Brust bezwingend,
Bis die Welt entbrannt
In Furcht und Hoffnung, die sie früher nicht gekannt;

Wie auf stolzer Zinne
Eine Edelmaid,
Die von süßer Minne
Singt bei nächt'ger Zeit
In holdem Liebessang, berauscht von Lust und
Leid;

Wie im abendfeuchten
Thal des Glühwurms Licht,
Deß ätherisch Leuchten
Durch die Gräser bricht,Doch siehst das Thierchen du vor Blüth' und Blättern nicht;

Wie die Ros' in Lüften
Wiegt ihr Blumenhaupt,
Bis der West in Düften
Ihr den Kelch zerklaubt,
Daß trunken wird der Dieb, der ihr den Honig raubt.

Frühlingsregens Fließen
Auf dem grünen Hang,
Thaufall auf den Wiesen,
Nichts die Welt entlang,
Das frisch und fröhlich ist, gleicht deinem hellen Sang.

Dein Empfinden lehr uns,
Vogel oder Geist!
Nie ein Lied so hehr uns
Wein und Liebe preist,
Wie deins im Götterrausch die Seele aufwärts reißt.

Bräutliche Gesänge,
Siegesliederklang
Sind nur hohle Klänge
Gegen deinen Sang –
Ein fehlend Etwas spürt der Geist in ihnen bang.

Ach, was mag die Quelle
Deiner Lieder sein?
Anger, Berg und Welle?
Wolkenflucht und Hain?
Der Liebesinbrunst Macht? Unkenntniß aller Pein?

Nie verzehrt Ermatten
Deine frohe Brust,
Dumpfen Ekels Schatten
Trübt dir nie die Lust;
Du liebst, doch ist dir nie der Liebe Leid bewußt.

Dir in Schlaf und Wachen
Muß des Todes Welt
Lichterfüllter lachen,
Als sie uns sich hellt –
Wie tönte sonst dein Lied so rein vom Himmelszelt?

Uns zerquält das Morgen
Oder Gestern heut,
Uns wird, ach! durch Sorgen
Jede Lust entweiht,
Und unser schönstes Lied, es spricht von tiefstem
Leid.

Doch wenn fremd uns wären
Furcht und Stolz und Haß;
Würde nie von Zähren
Uns das Auge naß,
So ließ' uns deine Lust wohl kalt ohn' Unterlaß.

Besser als geschraubter
Melodien Brunst,
Besser als verstaubter
Bücher Weisheitsdunst,
Du Erdverächter, wär' dem Dichter deine Kunst.

Halb nur deine Lust
Wolle mit mir tauschen: –
Dann aus meiner Brust
Sollt' ein Lied entrauschen,
Dem würde, wie ich dir gelauscht, die Erde lauschen.

Percy Bysshe Shelley

Percy Bysshe Shelley (1792 – 1822), britischer Schriftsteller, Dichter

Der Sperling

Auf der Heimkehr von der Jagd durchschritt ich die Gartenallee

Der Sperling

Auf der Heimkehr von der Jagd durchschritt ich die Gartenallee. Mein Hund lief vor mir her.

Plötzlich hemmte er seinen Lauf und begann zu schleichen, gleich als wittere er vor sich ein Wild.

Ich blickte die Allee hinunter und gewahrte einen jungen Sperling mit gelbgerandetem Schnabel und Flaum auf dem Köpfchen. Er war aus dem Neste gefallen – heftiger Wind schüttelte die Birken der Allee – und hockte unbeweglich, hilflos seine kaum hervorgesprossenen Flügelchen ausstreckend.

Langsam näherte mein Hund sich ihm, als plötzlich, von einem nahen Baume sich herabstürzend, der alte schwarzbrüstige Sperling wie ein Stein gerade vor seine Schnauze zu Boden fiel und völlig zerzaust, verstört, mit verzweifeltem, kläglichem Gezeter mehrmals gegen den scharfgezahnten, geöffneten Rachen lossprang. Er warf sich über sein Junges, um es zu retten, mit dem eigenen Leibe [31] wollte er es schützen … doch sein ganzer kleiner Körper bebte vor Schrecken, sein Stimmchen klang wild und heiser, Betäubung erfaßte ihn, er opferte sich selbst!

Als welch riesengroßes Untier mußte ihm der Hund erscheinen! Und dennoch hatte er nicht auf seinem hohen, sicheren Aste zu bleiben vermocht … Eine Macht, stärker als sein Wille, riß ihn von dort herab.

Mein Tresor hielt inne, wich zurück … Sichtlich begriff auch er diese Macht.

Schnell rief ich meinen verblüfften Hund zurück und entfernte mich, Ehrfurcht im Herzen.

Ja; lächelt nicht darüber. Ehrfurcht empfand ich vor diesem kleinen heldenmütigen Vogel, vor der überströmenden Kraft seiner Liebe.

Die Liebe, dachte ich, ist stärker als der Tod und die Schrecken des Todes. Sie allein, allein die Liebe erhält und bewegt unser Leben.

Iwan Sergejewitsch Turgenew

Iwan Sergejewitsch Turgenew – Иван Сергеевич Тургенев (1818 – 1883). russischer Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Erzähler

Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.

Drosselsang

Die Drossel sing, die Drossel singt

Drosselsang

Die Drossel singt, die Drossel singt
Dort drüben im Vogelbauer,
Sie kann ein Stückchen, das munter klingt,
Warum denn faßt mich ein Schauer?

Eine Drossel sang, eine Drossel sang
Ein Stückchen, genau das gleiche,
Zur Zeit, da ich so todesbang
Umging wie im Schattenreiche.

Verschlossen der Geliebten Haus,
Verstoßen aus meinem Himmel,
Gestoßen hinab in der Nachtwelt Graus,
In grinsender Larven Gewimmel!

's ist lange her, 's ist lange her,
Doch zuckt mir's durch die Glieder,
Doch wird die Seele mir so schwer,
Als erlebt' ich es eben wieder.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Amor ein Vogel

Sieh‘, wie dort ein kleiner Vogel

Amor ein Vogel

Sieh’, wie dort ein kleiner Vogel

Auf dem Myrthenzweige sitzt,

Lauschend in die Ferne siehet

Und den Mund zum Pfeifen spitzt! 

Denkt er Mädchen, deren Busen

Nicht sein schärfster Pfeil durchdrang,

Hier im Garten zu besiegen

Mit harmonischem Gesang?

 
O, du holder kleiner Vogel,

Meine Magdalis ist hier:

Pfeif’ ein Liedchen, liebster Vogel,

Und ihr Herz erpfeife mir!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Schwalben

Schwalben, durch den Abend treibend

Schwalben

Schwalben, durch den Abend treibend,
leise rufend, hin und wieder,
kurze rasche Bogen schreibend,
goldne Schimmer im Gefieder -.

Oh, wie möcht' ich dir sie zeigen,
diese sonnenroten Rücken!
Und der götterleichte Reigen
müsste dich wie mich entzücken.

Christian Morgenstern

Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer

The town between the hills

But when the little girl joined her hands

The town between the hills

The further the little girl leaped and ran,
The further she longed to be;
The white, white fields of jonquil flowers
Danced up as high as her knee
And flashed and sparkled before her eyes
Until she could hardly see.
So into the wood went she.

 It was quiet in the wood,
It was solemn and grave;
A sound like a wave
Sighed in the tree-tops
And then sighed no more.
But she was brave,
And the sky showed through
A bird's-egg blue,
And she saw
A tiny path that was running away
Over the hills to—who can say?
She ran, too.
But then the path broke,
Then the path ended
And wouldn't be mended.

 A little old man
Sat on the edge,
Hugging the hedge.
He had a fire
And two eggs in a pan
And a paper poke
Of pepper and salt;
So she came to a halt
To watch and admire:
Cunning and nimble was he!
"May I help, if I can, little old man?"
"Bravo!" he said,
"You may dine with me.
I've two old eggs
From two white hens
and a loaf from a kind ladie:
Some fresh nutmegs,
Some cutlet ends
In pink and white paper frills:
And—I've—got
A little hot-pot
From the town between the hills."

 He nodded his head
And made her a sign
To sit under the spray
Of a trailing vine.

But when the little girl joined her hands
And said the grace she had learned to say,
The little old man gave two dreadful squeals
And she just saw the flash of his smoking heels
As he tumbled, tumbled,
With his two old eggs
From two white hens,
His loaf from a kind ladie,
The fresh nutmegs,
The cutlet-ends
In the pink and white paper frills.
And away rumbled
The little hot-pot,
So much too hot,
From the ton between the hills.

Katheen Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten

When I was a bird

I climbed up the karaka tree

When I was a bird

I climbed up the karaka tree
Into a nest all made of leaves
But soft as feathers.
I made up a song that went on singing all by itself
And hadn't any words, but got sad at the end.
There were daisies in the grass under the tree.
I said just to try them:
"I'll bite off your heads and give them to my little
          children to eat."
But they didn't believe I was a bird;
They stayed quite open.
The sky was like a blue nest with white feathers
And the sun was the mother bird keeping it warm.
That's what my song said: though it hadn't any words.
Little Brother came up the patch, wheeling his barrow.
I made my dress into wings and kept very quiet.
Then when he was quite near I said:  "Sweet, sweet!"
For a moment he looked quite startled;
Then he said:  "Pooh, you're not a bird; I can see
          your legs."
But the daisies didn't really matter,
And Little Brother didn't really matter;
I felt just like a bird.

Katherine Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten

Der verflogene Falke

Auf des Bauernhaufen Balken

Der verflogene Falke

Hielt einmal ein König mächtig
Einen Edelfalken prächtig,
Und ihn auf der Hand zu tragen
War sein einziges Behagen.
Einst, zum Jagen ausgesendet,
hat er sich zur Flucht gewendet;
Und auf seines Daches Balken
Fand ein Bau'r den Edelfalken.
Müde schien er von der Reise,
Laden wollt' er ihn zur Speise.
Doch er sah die scharfen Fänge
Und des krummen Schnabels Länge.
"Gerstenkörnchen aufzupicken
Wird der Schnabel sich nicht schicken,
Und es werden diese Krallen
Dir im Sehn beschwerlich fallen."
Also stutzt er ihm die Fänge,
kürzet ihm des Schnabels Länge,
Und als er ihn ganz verschändet,
Glaubt er alles wohl vollendet.
Hat indes der Fürst befohlen,
Seinen Flüchtling einzuholen.
Auf des Bauernhaufes Balken
Finden sie den Edelfalken,
Den entadelten, und bringen
Ihn zurück mit schlappen Schwingen.
Doch der König ihn berachtend,
Erst bedauernd, dann verachtend,
"Mir hinweg vom Angesichte,"
Rufet er, "mit diesem Wichte!
Werfet ihn hinab die Stufen
Und laßt über ihm ausrufen:
Dieses ist die Strafe dessen,
Der so pflicht= als ehrvergessen,
Seine Stell' und einen passend
Ehrenvollen Dienst verlassend,
Wilder Luft nach, dahin rennet
Wo man seinen Wert nicht kennet."

Friedrich Rückert

Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung