Traumsee
O Stille. O dies Schweigen, dies: Ich blühe.
Wie Seide. Blies dich rosenroter Wind
Aus Hirtenengels Flöte um sein Rind,
Die milchig weißen goldgehörnten Kühe ?
Dein Antlitz badet Tau der Schöpfungsfrühe;
Aus ihren Armen strahlst du, wie ein Kind
Mit Augen, die voll kleiner Falter sind,
So schwebend lächelt unsrer Macht und Müh«
Du lauschst. Der Vögel glitzernd Tirili
Springt nur für dich aus seiner güldnen Dose,
Du Morgenwolkenspiegel. Melodie
Vom Wangenschein gereifter Aprikose.
Du Schimmer. Traumsee einem Kolibri.
Du Duft. Du Niezunennendes. Du: Rose.
Gertrud Kolmar
Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin
Ihr Vater züchtete Rosen. Daher hat sie viele Gedichte über Rosen geschrieben.
Kleine Drossel aus den Kindertagen, ist‘ derselbe Wald noch, der dich trägt? Bist du’s selbst, die mir mit ihrer Klagen immer noch das alte Herz bewegt?
Ach, wie vieles sahen wir sich wandeln, unsere ersten Verse, auch wie fern … unser frühes Leiden, unser Handeln, alles ist schon wie ein fremder Stern.
Nur durch deine Lieder schlingt sich leise jene stille Kette, die nicht bricht, eingeschlossen ruhst du in dem Kreise, früber Gott den Abendsegen spricht.
Und wir selbst, in ewigen Verändern, Lauschen fromm dir wie zur Kinderzeit, ach, verweil‘ an unser Abendrändern, kleine Zeugin du der Ewigkeit.
Ernst Wiechert
Ernst Wiechert (1887 – 1950) deutscher Schriftsteller, Lehrer
Gedicht aus: ‚Die letzten Lieder‘, Verlag Arche, Zürich. 1951
Krähen
Ich will den Tag verbringen in den Feldern,
will lächerlich wie jene Scheache stehen;
die groen Vögel möchten aus den Wäldern
auch so auf mein Gewand herniederwehn.
Um Schultern krallen, flüstern in mein Ohr,
aus Mären, die im grünen Buch sie lassen,
von Hugin und von Munin, Thyr und Thor,
von Yggdrasil, dem Weltenbaum der Asen.
Und was der Väter Dienstwenok beim Adepten,
des Roten Leuen Such, dem Blumengift,
der Mauerspalte, drein sie bergend schleppten
des sie den Herrn geheim erfundene Schrift,
und anderes Gewinde, blumiges Kraus,
altfränkisch duftend wie Leukojenblüten,
was ihnen Nachtrab schrieb und Fledermaus
und was sie selbst in kluges Häuptlein hüten.
Doch manche würden gleich die Scholle hacken,
um meine Füße, die zum Kosten lädt
so wie ein Weißbrot, feucht und frisch vom Backen,
bereitet mit dem blanken Feldgerät.
An weißen Mandeln und dem Zitronat,
an Engerlingen sich und Würmern letzten,
der Süße endlich satt und Rast und Rat
und schweigend sich auf meine Hände setzen.
Und einmal schlügen Schwärme, Riesenwehen,
den wilden Flug aus Mitternacht mir nach
mit harten Liedern, die nur ich verstehe,
in ihrem scharfen, ungefügen Krah.
Mit unheilvollen Braus im düsteren Kleid
und mit erzürnten, drohendem Bewegen;
so fielen sie in gottlose Zeit
und auf die Länder als ein schwarzer Regen.
Die Welt verstummte. Bis der Weile stöhnte.
Und weithin klagte heulend eine Stadt.
Zerfreßnes Auge, das der Vater höhnte
und seiner Mutter Herz verstoßen hat.
Gertrud Kolmar
Gertrud Käthe Choziesner 1894 – 1943, ermordet in Ausschwitz) deutsche Lyrikerin, Schriftstellerin
Gedicht aus: Gesamtausgabe ‚Das lyrische Werk Gedicht aus: Gesamtausgabe Das lyrische Werke