Schöpfersliebe

Bald wirst du den Blumenbecher füllen

Schöpfersliebe.
Liebe! du Allmächtige! du Eine!
Die du unsichtbar im Weltall glimmest!
Du giebst Leben!

Jetzt, daß nicht sich die Natur ermüde,
Zogst du jede Kraft in dich zurücke
Von den Fluren.

Bald wirst du den Blumenbecher füllen,
Ihn zur Lust auf Erden auszugießen
Mit dem Frühling.

Denn es nimmt uns nimmer deine Linke,
Was nicht tausendfach die Rechte wieder
Uns erstattet.

Du bist's, die den Staub zum Staube träget,
Die im Samen das Verlangen wecket,
Frucht zu werden!

Du bist's, die uns Trost verspricht bey Sternen,
Uns ins Grab zur süßen Ruhe bettet,
Du, o Liebe!

Und Du solltest, die du ewig wirkest,
Mächtig und allgegenwärtig thronest,
Uns verlassen?

Uns, die Du uns lehrtest, dich empfinden,
Aus der Kette deiner Hände reißen,
Und vernichten?

Caroline Louise von Klencke

Caroline Louise von Klencke (1754 – 1802), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Unter Myrtenzweigen

Du blickst dein Verlangen

Unter Myrtenzweigen
Beim Rieseln der Quelle
Und der Nachtigall Lied,
Auf sanftem Rasen
Durchwirkt mit Blumen,
Im duftenden Hain,
Gebogen die Äste
Von goldener Frucht
Und silberner Blüte,
Wo ewig blau der Himmel,
Ewig lau die Lüfte
Dich umwehen –

Das Mädchen im leichten Gewand
Tanzet den bunten Reihen,
Bricht die labende Frucht,
Schöpfet vom Quell.
Am Felsen ein Hüttchen
Mit weniger Habe,
Dort ruht es die Glieder
Auf reinlichem Lager.

Du blickst dein Verlangen
Ihr tief in das Herz,
Sie hat dich verstanden,
Und teilet die Glut.
Nichts wehrt dir die Küsse
Auf Lippen und Wangen;
Lilien und Rosen,
Blüten und Knospen,
 Alles ist dein.

Leicht wie der Westwind,
Scherzend wie er,
Berührst du die Blumen,
Und fliehest vorüber,
Schonend der zarten.
Wer fürchtet da Neid?
Wen lockt der Ruhm?
Zürnet die Mutter?
Das Lächeln kann sie
Doch nicht verbergen;
Denn eigne süße Schuld
Ruft die Tochter
Zurück ihr ins Herz.

Dorothea Schlegel

Dorothea Friederike Schlegel (1764 – 1839), deutsche Schriftstellerin, Literaturkritikerin