Die wilden Schwäne Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen, Ich höre, wie der Wind am Fenster rüttelt, Und meine Träume schwinden ganz dahin. Ich steige aufwärts in das Aussichtszimmer, Einst rührt ich hier mit meiner schönen Nadel Aus Jade sinnend in der Glut der Kohlen. Jetzt ist die Glut dahin. Es ist vergebens, Daß meine Nadel durch die Asche tastet, Ich seh in das Gebirge, schmerzumflort. Ein grauer Regen düstert in der Landschaft. Der Nebel weht. Der Fluß wälzt schwere Wogen, - Doch meinen Jammer wälzt er nicht hinweg. Auf meines Umhangs dunkelm Tuche schimmert Der Regen meiner bitterlichen Tränen; Die wilden Schwäne schreien unter mir. Ich schüttle meine armen Tränen nieder Auf die erwachten Vögel, - fliegt, o Vögel! Bringt meine Tränen ihm, der mich verzehrt! Li Tsching-dschau
Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao
Li Tsching-dschau (1083 – 1151)
aus: „Geliebte, wenn ich dich entzückt betrachte – Die chinesische Flöte“. Orientalische und fernöstliche Liebesdichtungen in Nachdichtungen von Hans Bethge. Seite 66
Foto: Hans Bethge (1876 – 1946)