Das treue Herz
Ein treues Herz bleibt stark in Muth und Hoffen,
Wird gleich vom Sturm der Freuden Saat getroffen,
Sein Glaube hebt es siegend himmelwärts!
Drum wünsch' ich mir, wenn Leiden mich umstürmen,
Wenn Wolken sich um meinen Himmel thürmen,
Ein treues Herz!
Ein treues Herz beharrt im festen Lieben,
Wenn And're auch durch Undank es betrüben,
Und lächelt mild noch in dem tiefsten Schmerz.
O könnt' ich mir solch Kleinod doch bewahren!
Erquickung beut uns noch in späten Jahren
Ein treues Herz!
Ein treues Herz wird, wenn es Spötter kränken,
Sich nimmer doch von seinem Heile lenken,
Und fest stehn, bei der Frevler frechem Scherz.
O möcht' es doch der Vater mir gewähren!
Als Demant-Krone trägt der Prüfung Zähren
Ein treues Herz!
Agnes Franz
Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin
aus: „Gedichte“ von Agnes Franz Erste Sammlung Zweite Auflage Essen 1836. Seite 22
An Tieck
Ein Kind voll Wehmut und voll Treue,
Verstoßen in ein fremdes Land,
Ließ gern das Glänzende und Neue,
Und blieb dem Alten zugewandt.
Nach langem Suchen, langem Warten,
Nach manchem mühevollen Gang,
Fand es in einem öden Garten
Auf einer längst verfallnen Bank
Ein altes Buch mit Gold verschlossen,
Und nie gehörte Worte drin;
Und, wie des Frühlings zarte Sprossen,
So wuchs in ihm ein innrer Sinn.
Und wie es sitzt, und liest, und schauet
In den Kristall der neuen Welt,
An Gras und Sternen sich erbauet,
Und dankbar auf die Kniee fällt:
So hebt sich sacht aus Gras und Kräutern
Bedächtiglich ein alter Mann,
Im schlichten Rock, und kommt mit heiterm
Gesicht ans fromme Kind heran.
Bekannt doch heimlich sind die Züge,
So kindlich und so wunderbar;
Es spielt die Frühlingsluft der Wiege
Gar seltsam mit dem Silberhaar.
Das Kind faßt bebend seine Hände,
Es ist des Buches hoher Geist,
Der ihm der sauern Wallfahrt Ende
Und seines Vaters Wohnung weist.
Du kniest auf meinem öden Grabe,
So öffnet sich der heilge Mund,
Du bist der Erbe meiner Habe,
Dir werde Gottes Tiefe kund.
Auf jenem Berg als armer Knabe
Hab ich ein himmlisch Buch gesehn,
Und konnte nun durch diese Gabe
In alle Kreaturen sehn.
Es sind an mir durch Gottes Gnade
Der höchsten Wunder viel geschehn;
Des neuen Bunds geheime Lade
Sahn meine Augen offen stehn.
Ich habe treulich aufgeschrieben,
Was innre Lust mir offenbart,
Und bin verkannt und arm geblieben,
Bis ich zu Gott gerufen ward.
Die Zeit ist da, und nicht verborgen
Soll das Mysterium mehr sein.
In diesem Buche bricht der Morgen
Gewaltig in die Zeit hinein.
Verkündiger der Morgenröte,
Des Friedens Bote sollst du sein.
Sanft wie die Luft in Harf und Flöte
Hauch ich dir meinen Atem ein.
Gott sei mit dir, geh hin und wasche
Die Augen dir mit Morgentau.
Sei treu dem Buch und meiner Asche,
Und bade dich im ewgen Blau.
Du wirst das letzte Reich verkünden,
Was tausend Jahre soll bestehn;
Wirst überschwenglich Wesen finden,
Und Jakob Böhmen wiedersehn.
Novalis (an Tieck, um 1800)
Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801), deutscher Schriftsteller, Philosooph
Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.