Sehnsucht

Es war einmal. Ich leb‘ am Tag von Gedanken,

Es war einmal.
Ich leb‘ am Tage vom Gedanken,
nachts von der Qual;
oft träum‘ ich nur vom Traum.
Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum.
Im meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken,
sind deine Wesen ohne Zahl.

Karl Kraus

Karl Kraus (1874 – 1936), österreichischer Schriftsteller, Satiriker, Dramatiker, Publizist, Aphoristiker, Kultur-, Medien- und Sprachkritiker

aus: ‚Ausgewählte Gedichte‘

Verlag: Die Fackel, Wien, Leipzig, Verlag der Schriften von Karl Kraus (Kurt Wolff), München, 1920

Mein vertrauter Traum

versteht mein rätselhaftes Wesen

Mein vertrauter Traum

Ich träumte wieder schon so oft ein Traum vor mir gestanden. Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar mit aus der Stirn mit Händen wunderbar.

Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen und kann in meinen dunklen Herzen lesen. Du fragst mich ist sie blond? Ich weiß es nicht.

Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht. Und wie sie heißt? Ich weiß es nicht.

Doch es klingt ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt – wie ein Name, den du Liebling heißt, und der du ferne und verloren weißt.

Und ihre Stimme Ton ist dunkelfarben wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Erstveröffentlichung

aus ‚Ausgewählte Gedicht, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, Verlag Pöschel & Trepte, 1906. Original im Lemerre-Verlag Paris 1866)