Tag und Nacht

Und wieder klag die leise Stimme mir

Tag und Nacht

Es sprach der junge Tag in meinen Traum:

»Wach auf! Sieh! Meines Mantels goldner Saum
Ist über dunkle Dächer ausgegossen,
Und tausend Ströme sind geflossen
Und wurden Morgenlicht und heller Tag.
Nur Du noch ruhst im Traumeshag
Wo alle Wünsche wie lebendig scheinen
Und sich zu wechselbunten Spiele einen. –
Blick auf! Hörst Du aus fernen Dämmern
Den Rythmus der Arbeit mit ehernen Hämmern
Wach auf! – Aus allen Poren bricht das Weltgetriebe,
Kein Glied, das ohne Kraft und Schaffen bliebe
Und jedes schmiegt sich wieder sorgsam ein
In meiner Lande unbegrenzte Reihn
Und keiner ruht. – Nur Du allein!« –

Und tiefer kroch das Leuchten an der Wand.
Auf meinen Augen lag's, wie eine heiße Hand

Und schnell war Lid und Wimper offen
Von goldner Flut des frohen Lichts getroffen.

Und wieder klang die leise Stimme mir:

»Mit erlesenen Gaben komm ich zu Dir.
Mein Kleid ist weit. Doch seine tausend Falten
Vermöchten nicht der Gaben reiche Zahl enthalten,
Die meine Arme Dir entgegenbreiten.
Ich bringe Dir Ehre und Glück aus den Weiten
Ich habe Dir alle Wege geweitet,
Drauf purpurne Rosen und Blüten gebreitet,
Was Deine Gedanken nur betend erwähnt,
Was Deine Wünsche mir Thränen ersehnt,
Was kaum Du erhofft in schüchternem Denken,
Das will ich Dir heute, heute noch schenken.
Ich will Dir den ungeborenen Willen
In leuchtenden Farben zur Wahrheit erfüllen
Und für das Leid aus fernen, schweren Tagen
Werd' ich Dir wunderweiche Worte sagen,
Und Glück und Sorge, was Dich nur umflicht,
Dir wird es wesenlos und lebt nur im Gedicht. –
Ich mache Dir zaubergewaltig den Arm
Ich führe Dich weg von dem neidischen Schwarm,
Der jedes Streben sinnberauscht verlacht.
Ich nehm Dir alles, was Dich ihnen ähnlich macht.«

So sprach der Tag. Ich aber horchte fort
Und schlürfte gierig Wort für Wort.

»Doch geb' ich nicht die überreiche Spende
In schlummermüde, arbeitsträge Hände
Und werfe Dir nicht die Gaben dahin. –
Steh' auf und sieh sie im Leben erblühn!
Ich bin der Tag und bin dem Leben gleich
Erfüllung harrt für jeden Wunsch in meinem Reich,
Nicht wirst Du bittend meine Gunst erringen
Nein! Wie ein Weib mußt Du mich zwingen,
Das nicht für weiche Worte seine Gaben giebt
Und nur die Kraft, den starken Willen liebt,
Der sie mit seiner Wucht errungen.«

So sprach der Tag mit leisen, weisen Zungen
Und flammte heiß mit grellen, gelben Lichtern,
Und still ward da mein Herz und schüchtern
Bei dieser Worte wahrheitsschweren Klang
Allein der Tag fuhr fort und sang:

»Doch hat Dich das Schaffen dann müde gemacht,
Führ' ich Dich neu in die Arme der Nacht.
Durch des Abends blütenrote stille Weiten
Will ich Dich zum Traume heimgeleiten;
Diesem schenkst Du, was ich Dir errungen,
Glück und Glanz und echte, große Lieder
Und er giebt es tausendfach Dir wieder
Durch der Traumessänge seligsüße Weise.
Und so dreht sich Tag und Nacht im Kreise
Bist Du bei mir stark und stolz geworden,

Löst die Nacht mit ihres Lieds Accorden
Wieder Deine Einsamkeit und Eigensucht
Und des steten Wechsels reiche Frucht
Ist: Daß Du des Nachts die Seele sehnend weitest
Und des Tags zur That Dich froh bereitest.
Doch nun laß des Morgendämmerns bleiche
Traumesgärten! Auf! Zieh ein in meine Reiche.«

Und es wuchs in mir ein frohes, heißes Beben
Ich sprang auf, hinein ins volle Leben! 

Stefan Zweig

Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist

Stille

Es schweiget Feld und See und Wald

Stille

Still, still, still!
Es schweiget Feld und See und Wald,
Kein Vogel singt, kein Fußtritt hallt;
Bald, bald
Kommt weiß und kalt
Der todte Winter
Über dich, Erde,
Und deine Kinder. 
Auch du wirst still,
Mein Herz; der Sturm, der sonst so wild
Dich rüttelt, schweigt. Ein jedes Bild
Verhüllt.
Ganz, ganz gestillt
Liegst du im Schlummer.
Es schweigt die Freude,
Es schläft der Kummer. 
Still, still, still!
Er kommt, er kommt, der stille Traum
Von einen. stillen kleinen Raum.
Kaum, kaum,
Du müder Baum,
Kannst du noch stehen.
Bald wird dich kein Auge
Mehr sehen.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Erzähler, Schriftsteller

Spielmannslied

Hört‘ wieder ich, als wär’s ein Traum

Spielmannslied
 

Im Frührot stand der Morgenstern
Vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein flüchtig Schülerkind,
Im silbergrauen Felde lag;
Die Wimper schwankte falterhaft,
Und ich entschlief an Ackers Rand,
Der Sämann kam gemach daher
Und streute Körner aus der Hand.

Gleich einem Fächer warf er weit
Den Samen hin im halben Rund,
Ein kleines Trüppchen fiel auf mich
Und traf mir Augen, Stirn und Mund;
Erwachend rafft' ich mich empor
Und stand wie ein verblüffter Held,
Vorschreitend sprach der Bauersmann:
Was bist du für ein Ackerfeld?

Bist du der steinig harte Grund,
Darauf kein Sämlein wurzeln kann?
Bist du ein schlechtes Dorngebüsch,
Das keine Halme läßt hinan?
Du bist wohl der gemeine Weg,
Der wilden Vögel offner Tisch!
Bist du nicht dies und bist nicht das,
Am End' nicht Vogel und nicht Fisch?

Unfreundlich schien mir der Gesell
Und drohend seiner Worte Sinn;
Ich ging ihm aus den Augen sacht
Und floh behend zur Schule hin.
Dort gab der Pfarr den Unterricht
Im Bibelbuch zur frühen Stund';
Von Jesu Gleichniß eben sprach
Erklärend sein beredter Mund. -

Die Jahre schwanden und ich zog
Als Zitherspieler durch das Land,
Als ich in einer stillen Nacht
Die alte Fabel wieder fand
Vom Sämann, der den Samen warf;
Da ward mir ein Erinnern licht,
Ich spürte jenen Körnerwurf
Wie Geisterhand im Angesicht.

Was bist du für ein Ackerfeld?
Hört' wieder ich, als wär's ein Traum;
Ich seufzte, sann und sagte dann:
O Mann, ich weiß es selber kaum!
Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund;
Ich glaub', ich bin der offne Weg,
Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund'.

Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn,
Statt Furchen zieh'n Geleise hin
Von harten Rädern ausgehöhlt,
Und nackte Füße wandern drin;
Das kommt und geht, doch fällt einmal
Ein irrend Samenkörnlein drauf,
So fliegt ein hungrig Vöglein her
Und schwingt sich mit zum Himmel auf. 

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Buch der Natur. Seite 17

Neuerer Gedichte 1957

Hier täuscht in süßen Fantasien

Mich mancher schöne Traum

Hier täuscht in süßen Phantasien
Mich mancher schöne Traum:
Und über mir rauscht ganz allein
Ein schwarzer Fichtenbaum.

Christian Felix Weisse

Christian Felix Weisse (1726 – 1804), deutscher Schriftsteller, Dichter, Pädagoge

A little boy’s dream

Sea and sky, sea and sky

To and fro, to and fro
In my little boat I go
Sailing far across the sea
All alone, just little me.
And the sea is big and strong
And the journey very long.
To and fro, to and fro
In my little boat I go.

Sea and sky, sea and sky,
Quietly on the deck I lie,
Having just a little rest.
I have really done my best
In an awful pirate fight,
But we captured them all right.
Sea and sky, sea and sky,
Quietly on the deck I lie—

Far away, far away
From my home and from my play,
On a journey without end
Only with the sea for friend
And the fishes in the sea.
But they swim away from me
Far away, far away
From my home and from my play.

Then he cried "O Mother dear."
And he woke and sat upright,
They were in the rocking chair,
Mother's arms around him—tight.

Kathleen Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten

Same der Freien

Durch sie kann ich jetzt den Traum leben

Durch sie kann ich jetzt den Traum leben. Ich bin der Same der Freien, und ich weiß es. Ich habe vor, große Früchte zu tragen.

Sojourner Truth

Sojourner Truth ‚Isabella‘ Baumfree (1797 – 1883) US-amerikanische Frauenrechtlerin, Geschichtsschreiberin, Autorin, Wanderpredigerin, Abolitionstin.

Lebenstraum

Lebenstraum

Ich saß an einer Tempelhalle
Am Musenhain, umrauscht vom nahen Wasserfalle,
Im sanften Abendschein.
Kein Lüftchen wehte; und die Sonn’ im Scheiden
Vergüldete die matten Trauerweiden.

Still sinnend saß ich lange, lange da,
Das Haupt gestützt auf meine Rechte.
Ich dachte Zukunft und Vergangenheit, und sah
Auf einem Berg, dem Thron der Götter nah,
Den Aufenthalt vom heiligen Geschlechte,
Der Sänger alt’ und neuer Zeit,
An deren Liede sich die Nachwelt noch erfreut.
Tot, unbemerkt, und längst vergessen schliefen
Fern in des Tales dunkeln Tiefen
Die Götzen ihrer Zeit,
Im Riesenschatten der Vergänglichkeit.

Und langsam schwebend kam aus jenem dunkeln Tale,
Entstiegen einem morschen Heldenmahle,
Jetzt eine düstere Gestalt daher,
Und bot (in dem sie ungefähr vorüberzog)
In einer mohnbekränzten Schale
Aus Lethes Quelle mir Vergessenheit!

Betroffen, wollt ich die Erscheinung fragen:
Was dieser Trank mir nützen soll?
Doch schon war sie entflohn: ich sah’s mit stillem Groll,
Denn meinen Wünschen konnt’ ich nicht entsagen.

Da kam in frohem Tanz, mit zephyrleichtem Schritt,
Ein kleiner Genius gesprungen
Und winkt und rief mir zu: Komm mit,
Entreisse dich den bangen Dämmerungen
Sie trüben selbst der Wahrheit Sonnenschein!
Komm mit! Ich führe dich in jenen Lorbeerhain,
Wohin kein Ungeweihter je gedrungen.
Ein unverwelklich schöner Dichterkranz
Blüht dort für Dich im heitern Frühlingsglanz
Mit einem Myrtenzweig umschlungen.
Er sprach’s, und ging mir schnell voran.
Ich folgte, voll Vertrauen, dem holden Jungen,
Beglückt in meinem süßen Wahn.

Es herrschte jetzt die feierlichste Stille
Im ganzen Hain. Das langersehnte Ziel,
Hellschimmernd sah ich’s schon in ferner Schattenhülle
Und stand, verloren ganz im Lustgefühl.
“Nimm” (sprach er jetzt) “es ist Apollons Wille.
Nimm hin dies goldne Saitenspiel!
Es hat die Kraft in schwermutsvollen Stunden
Durch seinen Zauberton zu heilen all’ die Wunden,
Die Mißgesschick und fremder Wahn dir schlug.”
Mit zärtlich rührenden Akkorden,
Tönt es vom Süd bis zum Norden,
Und übereilt der Zeiten schnellen Flug
Sei stolz, sei stolz auf dein Besitz! Und denke:
“Von Allem, was die Götter sterblichen verleihen,
Ist dies das höchste der Geschenke!”
Und Du wirst es nicht entweihen.

Noch nicht vertraut mit ihrer ganzen Macht,
Sang ich zuerst nur kleine Lieder;
Und Echo hallte laut und fröhlich wieder.

Gabriele von Baumberg

Text: Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Vertonung: Franz Schubert (1797 – 1828), österreichischer Komponist

Traumsee

Traumsee

O Stille. O dies Schweigen, dies: Ich blühe.
Wie Seide. Blies dich rosenroter Wind
Aus Hirtenengels Flöte um sein Rind,
Die milchig weißen goldgehörnten Kühe ?

Dein Antlitz badet Tau der Schöpfungsfrühe;
Aus ihren Armen strahlst du, wie ein Kind
Mit Augen, die voll kleiner Falter sind,
So schwebend lächelt unsrer Macht und Müh«

Du lauschst. Der Vögel glitzernd Tirili
Springt nur für dich aus seiner güldnen Dose,
Du Morgenwolkenspiegel. Melodie

Vom Wangenschein gereifter Aprikose.
Du Schimmer. Traumsee einem Kolibri.
Du Duft. Du Niezunennendes. Du: Rose.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ihr Vater züchtete Rosen. Daher hat sie viele Gedichte über Rosen geschrieben.

Traum

Lass den Traum dein Leben verschlingen, damit das Leben deinen Traum nicht verschlingt.

Antoine de Saint-Exupéry

Antonie de Saint-Exupéry (1900 – 1944), französischer Schriftsteller, Pilot

Aphorisma aus aus: ‚The little Prince‘. Erstveröffentlichung Januar 1943, Verlagshaus Reynal & Hitchcock. Vereinigten Staaten von Amerika (USA). In der USA läuft ds U.S. Copyright am 1. Januar 2039 ab.

Träume

Träume

Nicht der ist arm, der sich keinen Jugendtraum erfüllt hat, sondern der schon in der Kindheit nichts träumte.

Adolf Nowaczynski

Adolf Nowaczyski (1876-1944 in Warschau) polnischer Schriftsteller, Dramatiker, Satiriker, Dichter, Publizist, Essayist, Kritiker, Politik und Sozialaktivist