An ihn

O schlafe nicht, erwach‘, erwache

An ihn

2.
O schlafe nicht, erwach', erwache,
Daß mich Dein Anblick glücklich mache!
Du träumst vielleicht, man küsse Dich?
Erwach', den Traum dann deute ich.


Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

Sonnenuntergang

Abends wenn die Sonne untergeht

Sonnenuntergang

Abends wenn die Sonne untergeht,
sitz ich trauernd, träumend in Gedanken
an die Stunden, die in nichts versanken,
bis die alte Zeit mir aufersteht.

Schemenhaft naht mir vergangnes Glück,
meinen Kummer täuschend zu besiegen.
Mit der Dämmrung kommt es aufgestiegen,
nur mein Liebstes bringt es nicht zurück.

Ruhelos, verzweifelt irr ich dann
durch die Zimmerflucht beim Abendscheine.
Einen Tag wie alle Tag alleine -
Komm, o komm doch, heißgeliebter Mann!

Hilf der hoffnungslosen Liebe Not,
du, mein Gott, reiß ab die Lebensstunden,
heilt so leicht doch alle Herzenswunde
handauflegend der Erlöser Tod.

 Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

.

Mutter Erde

leise singt der Frühlingswind

Mutter Erde

Mitternächtges Dunkel spinnt
um die Welt ein heimlich Träumen;
leise singt der Frühlingswind
in den knospenschweren Bäumen.
Fern noch einer Lampe Schein,
und der Himmel schwarz verhangen – –
in den dunklen Birkenhain
bin ich einsam ausgegangen.
Schmeichelnd um die Stirne streicht
mir der Lenznacht weicher Odem,
aus den feuchten Beeten steigt
Erdgeruch und Nebelbrodem.
Aus dem Schoß der Wolken fällt
groß und warm der erste Tropfen –
und mir ist, das Herz der Welt
hör ich in der Stille klopfen.
Durch die Nacht, so kirchenstill,
30geht ein Raunen und ein Regen,
jedes kleinste Pflänzchen will
Zwiesprach mit dem Schöpfer pflegen.
Was in dunklen Tiefen schlief,
ruft ans Licht ein neues Werde –
und die Kniee beug ich tief
31zur gebenedeiten Erde. –

Clara Müller-Jahnke

Clara Müller-Jahnke, geborene Müller (1860 – 1905, deutsche Dichterin, Journalistin, Frauenrechtlerin

Liebesglück

Liebesglück

Stille selige Stunden,
Wo uns die Liebe beglückt!
Wo dein Arm mich umwunden,
Hold mir dein Auge geblickt.
 	

Sterne glaubt' ich zu sehen,
Ach, in dem reizenden Schein!
Strahlend von himmlischen Höhen
Licht in das Herz hinein.
 
	
Licht wohl, doch heimliches Bangen
Auch mit dem Schimmer zugleich;
Sehnendes, tiefes Verlangen,
Schlummer, von Träumen so reich!

Louise Brachmann

Karoline Louise Brachmann (1777 – 1822), deutsche Dichter, Schriftstellerin. Pseudonyme: Klarfeld, Louise B. Sternheim.

Ich und Du

Wir träumten voneinander

Ich und Du

Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in Eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.


Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker