Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,

Die wilden Schwäne

Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,
Ich höre, wie der Wind am Fenster rüttelt,
Und meine Träume schwinden ganz dahin.

Ich steige aufwärts in das Aussichtszimmer,
Einst rührt ich hier mit meiner schönen Nadel
Aus Jade sinnend in der Glut der Kohlen.

Jetzt ist die Glut dahin. Es ist vergebens,
Daß meine Nadel durch die Asche tastet,
Ich seh in das Gebirge, schmerzumflort.

Ein grauer Regen düstert in der Landschaft.
Der Nebel weht. Der Fluß wälzt schwere Wogen, -
Doch meinen Jammer wälzt er nicht hinweg.

Auf meines Umhangs dunkelm Tuche schimmert
Der Regen meiner bitterlichen Tränen;
Die wilden Schwäne schreien unter mir.

Ich schüttle meine armen Tränen nieder
Auf die erwachten Vögel, - fliegt, o Vögel!
Bringt meine Tränen ihm, der mich verzehrt!


Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Lebenskranz

In schweren Träumen lag ich diese Nacht

Lebenskranz.

In schweren Träumen lag ich diese Nacht,
Nur an das Eine hab' ich stets gedacht,
Des Dichters Wort: >Hab' einst in Jugendtagen
Wohl auf dem Haupte einen Kranz getragen.<
Mir aber war's ich träge fort und fort
In meinen Haaren Blumen, lang' verdorrt.
Die wilden Blüten erster Jugendzeit
Zu Rosen formten sich, voll Herrlichkeit,
Die rot und röter flammend mich umfingen,
Bis sie entblättert in den Dornen hingen.
Doch bald entsprossten diesen, gross und weiss,
>Fior' di Passion<, leuchtend, fieberheiss.
Weh' mir, auch sie verwelkten. Spitz und stark
Nur noch die Dornen stechen mir in's Mark, -
So Jahr um Jahr. An letzter Ruhestatt
Entkeimt daraus vielleicht ein Lorberrblatt.

Hermine von Preuschen

Hermione von Preuschen (1854 – 1918), deutsche Malerin, Dichterin

Wolken

Wolken, ihr himmlischen

Wolken

Wolken, ihr himmlischen!
Laßt euch begrüßen,
Luftige Pilger! Ich sink' euch zu Füßen.
Wolklen, die ihr meine Kindheit umschwebtet,
Wonnige, schimmernde Träume belebtet,
Träume von goldenen, zaub'rischen Schlosse,
Und vom ätherisch geflügelten Rosse,
Träume von Seligkeit, Träume von Frieden,
Träume von Herrlichkeit, mir nicht beschieden.

Wolken, die einst mir im farbigen Bogen
Liebend die Brücke zum Himmel gezogen,
Seid ihr dieselben? - Ihr leuchtet noch immer
Herrlich und strahlend im purpurnen Schimmer.
Himmlische Brücke! Noch hast du den Bogen,
Wie vor Jahrtausenden, prächtig gezogen,
Aber dich durfte das Kind nur betreten -
Wolken! Ach laßt mich still weinen und beten.

Louise von Ploennies

Louise von Ploennies, geborene Leisler (1803-1872), deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Angelika von Hörmann

Und aufwärts durch Gesträusch‘ und Stein

Hinauf!

An der Schenke im Tal geh' ich vorbei,
Da sitzen die lustigen Zecher;
Die Wirtin kommt, und nach der Reih'
Füllt sie die leeren Becher.

"Der Wein ist kühl, komm' junger Gast,
Sei mit uns froh und heiter."
Ich bleibe nicht, ich halte nicht Rast,
Mein Weg geht höher und weiter.

Wohl kühleren Trunk, gesund und klar,
Schöpf' ich aus dem Felsenfasse;
Wer je ihn gekostet, den lüftet fürwahr
Nicht mehr nach eurem Nasse.

Und aufwärts durch Gesträusch' und Stein
Bin ich noch lange gestiegen;
Im Thal wie Schneckenschalen klein,
Die weißen Häuser liegen.

Ich hab' mit Alpenkresse gepflückt,
Und Alpenwasser getrunken,
Und habe den Kopf in's Moos gedrückt,
In stilles Träumen versunken.

Angelika von Hörmann 

Angelika von Hörmann, geborene Emilie Geiger, verheiratet Emilie Hörmann von Hörbach (1843 – 1921), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Pseudonyme: Angellika von Gera

Widmung

Ist die welt eurer hand auch an durft reich

Widmung

Das meer gibt die muscheln der düne ·
Das land gibt die wasser dem meer –
Viele sinds · doch ich gebe kühne
Gesänge als erstlinge her ·
Der wind nehme grünblatt und weissblatt 

Ohne früchte geschleuderte schar ·
Nehme weinblatt und rosblatt und geissblatt
Losflatternd vom haar.

Die nacht weht sie um mich in herden ·
Der tag treibt wie träume sie her.
Die zeit streut wie schnee sie auf erden
Und jagt sie in endloses meer.
Bleiche blätter fruchtlos getötet
Von flüchtigen jahren bedeckt ·
Die mit wein die mit blut angerötet
Die von tränen befleckt –

Die im staub mancher jahre verwittert
Die dem kind auf die hand sich gesezt ·
In stillgrünen plätzen vergittert
Gepflückt unter menschen erst jezt –
Auf meeren voll wundern · in schluchten ·
An nördliche felsen gestreift ·
In inseln wo myrten nicht fruchten
Und liebe nicht reift.

Ihr töchter von träumen und märchen
Die das leben noch immer nicht bannt:
Faustina Dolores und Klärchen
Julia und Amaranth!
Werd ich ewig euch suchen müssen
Wenn der schlaf · sei er wahr · sei er schaum ·
Zu mir kommt euch vergeblich zu küssen –
Ihr töchter vom traum?

Sie entwichen wie schlaf · wie auf gräsern
Der tau alter dämmrungen weicht ·
So schwach wie ein schatten auf gläsern ·
Wie ein lied wie ein windzug so leicht.
Nach der ebbe wie seewärts die wogen
Erfüllt mit der finsternis fliehn:
So die singvögel · die mich umflogen
Dem blick sich entziehn.

Toter jahre gesänge die jagen
Auf vernehmlicher worte flug ·
Lose blätter vom strandwind verschlagen ·
Unbändiger vögel zug.
Schon zur schulzeit mir manche gefielen
Die leicht so in ton wie in schwung –
Die jüngsten sind brüder von spielen ·
Die spätsten sind jung.

Ist ein schutz während langsam es schwindet ·
Ist ein ohr für ein fliehendes lied
Wie ein mann es zum harfenklang findet ·
Wie knaben es pfeifen im ried?
Ist ein platz in der welt die ihr gründet ·
Ist ein raum in dem land eurer pracht ·
Wo nicht wechsel mit schmerz sich verbündet
Und tag nicht mit nacht?

Ob vom seewind ihr flügel auch zittert ·
Habt ihr nicht einen raum für sie hier
Von grünenden flüssen umgittert
In lieblicher lüfte revier?
In feldern in turmigen mauern
Schutz bei regen und glühendem schein
Schönen wünschen und mildem bedauern
Und liebe ganz rein?

Im lichtland von märchen und farben –
Die stunden drehn schattenlos um –
Wo das feld voller prächtiger garben
Und tönender blumen gesumm ·
Im wald wo der lenz halb verdüstert
Sein sehnend errötend gesicht ·
Beim quell der für liebende flüstert:
Empfangt ihr sie nicht?
Der sorge singvögel die gurren
Ihr lied wie zum feuer der dunst ·
Der wünsche sturmvögel die murren
Laut-flatternd im winde der brunst ·
In dem windlauf – legt sich sein wüten –
Zu der see fern vom lichte gebraust ·
Geschüttelt im dunkel wie blüten
Nacheinander zerzaust.

Ist die welt eurer hand auch an duft reich
Und lieblicher hehrer erfüllt ·
Süss durch kunst mit dem warm-weichen luft-reich
Ihrer schwebenden schwingen umhüllt:
Lasst sie ein · unbeschwingte · verblasste ·
Alter liebe zu lieb – altem tag
Und empfangt in dem bilder-palaste
Dies reime-gelag.

Ob die menschliche zeit voll verzichten
Die jahre der jugend auch leert ·
Widersteht doch ein ding dem vernichten:
Nie hat wechsel die treue versehrt.
Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen ·
Ihr glück wie ihr leiden entschwand ·
Eh die zeit – allzerreissend – zerrissen
Um freunde das band.

Vergehn auch in ein licht die vielen:
Ist vom himmel zu hoffen erlaubt –
Wenn vor wolken die strahlen auch fielen ·
Ist die welt auch der sonne beraubt:
Sie hat mond und hat schlaf zum bescheide ·
Sinkt bräutlich und frisch – eine fee –
Mit sternen und seewind im kleide
Die nacht auf die see.


 Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Grashupfer und Heimchen

Von Heck zu Hecke rennt die Melodie

Grashupfer und Heimchen

Niemals ist tot der Erde Poesie:
Wenn Vögel müde sind von heißen Sonnen,
Dann nimmt die Führung in den Sommerwonnen
Grashüpfers Stimme, und sie rastet nie.

Von Heck zu Hecke rennt die Melodie
Und hält die frischgemähte Trift umsponnen;
Macht Lust ihn matt, so ruht er süß versonnen
Bei grünstem Halme, der für ihn gedieh.

Nie endet sie, die Poesie der Erde.
Am stillen Winterabend, wenn der grimme
Nachtfrost ein Schweigen breitet, schrillt vom Herde

Des Heimchens Sang dem Träumer in die Ohren,
Als habe sich Grashüpfers Sommerstimme
Aus grüner Trift in seinen Traum verloren.

John Keats

John Keats (1795 – 1821), britischer Dichter

The Mirror

From slumber bright with dreams ot thee

The Mirror

I.
It saw, it knew thy loveliness,
Thy burning lip and glancing eye,
Each lightning look, each silken tresa Thy marble forehead braided by,
Like an embodied music, twined
About a brightly breathing mind.

II.

Alas ! its face is dark and dim ;
No more its lightless depth below That glancing eye shall seem to swirn.

That brow to breathe or glow ; Its treacherous depth -  its heartless hue -
Forgets the form that once it knew.

III.

With many a changing shape and face Its surface may be marked and crossed -
Portrayed with as distinct a grace As thine, whoseloveliness is lost;
But there s one mirror, good and true,
That doth not lose what once it knew.

IV

My thoughts are with that beauty blest, A breathing, burning, living vision,
That, like a dove with wings at rest,
Still haunts the heart it makes Elysian;
And days and times pass like a sleep
Softly sad, and still, and deep;
And, oh ! what grief would wakening be
From slumber bright with dreams of thee!

John Ruskin

John Ruskin (1818 – 1900) , englischer Maler, Philosoph Schriftsteller, Dichter, Sozialreformer, Kunsthistoriker, -kritiker

Träume nicht immer nur Schäume

Ich wünsche dir

Träume nicht immer nur Schäume. Ich wünsche dir , dass der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit täglich kleiner wird.

Das Träumen ist der Sonntag des Denkens.

Henri-Frédéric Amiel

Henri-Frédéric Amiel (1821 – 1881) Schweizer Schriftsteller, Philosoph, Essayist und Lyriker

Eifersucht

Eifersucht, die Begleiterin der Liebe

Eifersucht, die Begleiterin der Liebe, hat dagegen brennende Eile, alles zu glauben was nicht erfreut. Nicht durch Tatsachen allein, schon durch Schatten und Träume lässt sie sich schrecken.

Francesco Petrarca

Francesco Petrarca (1304 – 1374), italienischer Dichter, Geschichtsschreiber