Moderne Oden I

Nicht sank in Schwachheit unserer Sprache Kunst

Moderne Oden I

Nicht sank in Schwachheit unserer Sprache Kunst,
seitdem verhallt ist früher Heroen Schritt –
        wir wandeln weiter ihre Bahnen
    tönenden Fußes – und schauen lichtwärts.

Wir meistern, stolz nicht minder wie jene, noch
das Wort, und kunstreich meißelt die sichre Hand
        aus deutscher Sprache reinstem Marmor
    nimmer-vergänglicher Formen Schönheit.

Denn für der Menschheit heilige Güter schlägt
auch uns das Herz. Die fröhliche Flammenglut,
        die ewig zu den Sternen deutet,
    loht auch in uns von dem Grund der Seelen.

Wie Göttern einst der lockigen Hebe Hand
geschenkt den Nektar ewigen Jugendmuts,
        so wollen wir in alten Schalen
    reichen den schäumenden Wein der Zeiten.

Otto Erich Hartleben

Otto Erich Hartleben (1864 – 1905), deutscher Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Dramatiker

Wahrheit und Wort

Die Wahrheit ist ein Strahl aus Überwelten

Wahrheit und Wort

Die Wahrheit ist ein Strahl aus Überwelten,
Der plötzlich einbricht in die Selbstversenkung.
Wir schaudern vor der himmlischen Beschenkung,
Wenn sie uns trifft, unangesagt und selten.

Im Geiste ringt, dem unbewußt erhellten,
Der reine Strahl nach wörtlicher Erdenkung.
Doch leiden muß er Beugung, Brechung, Schwenkung,
Wie jedes Licht, entsandt von Sternenzelten.

Die Sprache gleicht der Erden-Atmosphäre,
Kein Wesen lebte hier, wenn sie nicht wäre;
So kann der Geist auch nie dem Wort entrinnen.

Ihn trifft der Strahl. Der Sternenhimmel schickt ihn.
Der Dunst der Sprache aber bricht und knickt ihn
Und was er kündet, läßt sich kaum gewinnen.

Franz Werfel

Franz Viktor Werfel (1890 – 1945) österreichischer Schriftsteller. Beeinflusste den lyrischen Expressionismus nachhaltig