Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete

Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete
Und immer Jammer, immer Tränen, Flehen, -
Ich Unglückselige - was wird aus mir!

Kaum spüre ich des Sommers laue Nächte,
Da zieht der Winter wieder über Land,
Und rauh und häßlich wird der Wind der Frühe.

Jetzt kommen schon die wilden Schwäne wieder;
Mein Herz ist voller Qual. Wie oft, wie oft
Sah ich euch gehn und kommen, wilde Vögel!

Verschwenderisch erblühn die Chrysanthemen, -
Doch diese Blume hier, versehnt, verkümmert,
Hat niemand denn sie abzupflücken Lust?

Ich sitze ewig nur an meinem Fenster, -
Ist denn der Tag noch immer nicht zu Ende?
Ein feiner Regen näßt die Blüten rings.

Auf leisen Sohlen steigt die Dämmerung nieder,
Der Abend kommt, die Nacht umfängt die Erde, -
In mir jedoch bleibt alles, wie es war.

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete, -
Wer zieht den Dorn aus meinem wunden Herzen?
Verzweiflung wühlt in mir und tötet mich.. !

Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Sommernacht

Sommernacht

Stemengleich, vom blassen Licht beleuchtet,
Weiße Lilien über Gräsern schweben,
Ihre Kelche schimmern taugefeuchtet.
Wie sie bleich der Erde Haupt umgeben,

Ein bewegtes, reichverstreutes Glänzen
Flimmert hoch in dunkler Lüfte Räumen,
Himmelsantlitz, unter Blütenkränzen
Scheinst auch du in sanfter Nacht zu träumen.

Maria Stona

Maria Stona, geborene Maria Scholz (1861 – 1944), Dichter, Schriftstellerin, Sallonieré. Pseudonyme: Maria Stonawski, Maria Stona

Ach mein Liebster, o mein Licht

Ich kann kaum mehr den Mund erheben

1.
Ich fühle lauter Angst und Schmerzen
So oft ich nur an ihn gedenk
Mein liebster Schatz in meinem Herzen
Er macht daß ich mich stündlich kränk
Ach! Ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

2.
Ich kann kaum mehr den Mund erheben
Zu singen einen Lobgesang
Der ganze Leibe säht an zu böben
Das währt den ganze Sommer lang.
Ach! ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

3.
Wo er nicht kommt und mich ergötzet
So muß ich sterben also bald
Weil mir der Schmerz das Herz verletzet
bin schon vor große Trauer kalt.
Ach: ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

4.
Ist das die Liebe gar vergangen
Die angelobte starke Treu.
Ich warte seiner mit Verlangen
kein Schreiben hilft und macht mich frei.
Ach! ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

5.
So oft ich schlaf in meinem Bette
Welche doch gar selten kann geschehn
So deut mich als wenn Ihn nicht bette
In meinen Armen angesehn.
Ach! ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

6.
So offte seine roten Wangen
Der schöne Mund, das krause Haare
Muß mehr und nähren mein Verlangen
So oft will ich verzweifeln gar.
Ach! ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

7.
Nun schweig' ich, kann nicht weiter singen
der matte Mund bestehet mir
Die Seufzen muß ich lasse dringen
aus meines Herzen Schloß erfür
Ach' ach mein Liebster, o mein Licht
Er komme doch und säume nicht.

Dorothea Eleonora von Rosenthal

(Gedicht so gut wie möglich wiedergegeben)

Dorothea Eleonora von Rosenthal (1600 – 1649), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

In stiller Sommerluft

Das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt

In stiller Sommerluft

    	Das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt –
ich seh es noch, wies dir vom weißen Kleide blitzt,
und fühle deine Hände noch auf meinem Haar . . .
Die wilden Blumen dufteten rings so stark und süß.

Was sprachst du doch? – Ich höre deine Stimme nicht,
vergebens sinn ich ihrem fernen Klange nach.
Ich bin allein – in meine offnen Hände fällt
das grüne Gold der Blätter, das die Sonne malt.

Otto Erich Hartleben

Otto Erich Hartleben (1864 – 1905), deutscher Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Dramatiker

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich

Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, dass Blatt an Blatt sich presst.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und lässt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg' ich doch
Dort, - grad' an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!

Annette von Droste 

Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin

Morgenstimmung

Mich aus Liebchen Paradies

 Morgenstimmung

Leise schleich ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern,
Meine besten Kräfte ließ.

Traurig spiegelt sich der bleiche
Mond in meinem alten Frack;
Ach die Wirkung bleibt die gleiche,
Wie das Kind auch heißen mag.

Wilhelmine, Karoline,
's ist gesprungen wie gehupft,
Nur daß hier die Unschuldsmiene,
Dort dich die Routine rupft.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Sommer

Die Sonne war noch nicht aufgegangen

Sommer

Wunderlich war’s, daß ich an diesem Morgen weit früher munter war: es war im Sommer. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die frühe Lerche stieg empor, und jauchzte ihr fröhliches Lied, das sonderbar in meinem Herzen wiederklang.

Ludwig Tieck

Johann Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Herausgeber, Kritiker und Theoretiker der Romantik. Pseudonyme: Peter Lebrecht und Gottlieb Färber.

Sommernacht

Mit ausgespannten Armen kommt leis die Nacht

Sommernacht

Mit ausgespannten Armen kommt leis‘ die Nacht. Drückt Feld und Wald und Fluren ans Herze sacht. Schläge ihren weichen Mantel um Strauch und Baum, und summt mit Glockentönen die Welt in Traum. Vergessen hat die Erde des Tages Weh, ich hebe meine Augen hinauf zu Höh‘. Ein Vöglein seh‘ ich tauchen ins Abensgold, ach, wenn’s auch meine Seele mitnehmen wollt‘!

Johanna Ambrosius

Johanna Ambrosius (1834 – 1939), deutsche Volks-, Heimat- und Naturdichterin