Was mein Leben an Qualen hervorbringt

Was mein Leben an Qualen hervorbringt

Zu welchen Qualen mein Leben führt 

Die Liebe, die die klare Sonne verdunkelt, macht mich, 
Und in meiner Brust bei ihrem Erscheinen entzündet 
Größeres Verlangen nach meinem vagen Licht  
All die Schönheit, die uns die Natur schenkt, 
Die dem so gefällt, der am wenigsten sieht und versteht, 
Nimmt mir mehr von dem Frieden, und kränkt mich so 
Dass es mich zu wärmeren Seufzern zurückführt. 
Wenn grüne Wiese, und wenn mancherlei Blumen ich erblicke 
Beraubt von aller Hoffnung zittert die Seele: 
Denn sie erweckt den Gedanken an ihre schöne Frucht 
Die der Tod enthüllte. Ihm der Leichnam 
Ihm nahm einen süßen und kurzen Seufzer weg, 
Und mir hinterließ er die bittere ewige Trauer.

Vittoria Colonna

Vittoria Colonna (1492 – 1547), italienische Dichterin

Eine kleine Ballade

Sie wohnte vier Treppen

Eine kleine Ballade

Sie wohnte vier Treppen,
Er unten im Keller,
Und beide hatten sie keinen Heller.

Wohl litten sie nicht Hunger und Not,
Doch was sie verdienten mit ehrlichem Sinn,
Das reichte so gerade zum Leben hin.

Jung waren sie beide und lebensfroh,
Machten sich weiter keine Sorgen.
Kam heute das Glück nicht, kam’s wohl morgen.

Kehrten arbeitsmüd’ sie am Abend heim,
So schauten beide zum Fenster hinaus
Und sahen nach dem Glücke aus.

Aus dem Dache sah sie,
Aus dem Keller sah er,
Und mancher Seufzer flog hin und her.

An einem heissen Maientag
Sprach er sie schüchtern drunten an,
Als sie die Treppen zu steigen begann.

»Da oben ist’s wohl jetzt schön heiss?«
»Ja,« lacht sie, »ja, der Sonnenschein
Heizt etwas stark mein Zimmerlein.«

»Und zu mir kommt gar keine Sonne herein.«
»Nun,« meint sie mit einem fröhlichen Nicken,
»Ich werd’ etwas Sonne hinunterschicken.«

»Dürfte ich sie nicht holen kommen?«
»Nein, i bewahre!« Und im Lauf
Rennt sie die vier Treppen hinauf. – – –

Doch seltsame Dinge geschehen im Mai,
Am selben Abend, der Mond schien herein,
Holte er noch seinen Sonnenschein.


Alice Berend

Alice Berend (1875 – 1938), deutsche Schriftstellerin

Der Seufzer

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis

Der Seufzer.

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein -
und er sank - und ward nimmer gesehen.


Christian Morgenstern

Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer

Wo einst dein Fuß auf Rasen schritt …

Und jede Spur, sie ist verweht

Wo einst dein Fuß auf Rasen schritt …

Wo einst dein Fuß auf Rasen schritt,
liegt heut der weiße Winterschnee,
und du, du wandelst nicht mehr
zum Grottenplatz am Erlbuschsee.

Und jede Spur, sie ist verweht,
wo wir gelagert, Brust an Brust,
verweht das stille Veilchenbeet,
das manch Geheimnis mitgewußt.

Wer ruft nach mir? – Ein Seufzer glitt
aus meiner Brust im Sehnsuchtsweh …
Wo einst dein Fuß auf Rasen schritt,
liegt heut der weiße Winterschnee. - -

Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube