Sehnsucht
Warum Schmachten?
Warum Sehnen?
Alle Tränen
Ach! sie trachten
Weit nach Ferne,
Wo sie wähnen
Schönre Sterne.
Leise Lüfte
Wehen linde,
Durch die Klüfte
Blumendüfte,
Gesang im Winde.
Geisterscherzen,
Leichte Herzen!
Ach! ach! wie sehnt sich für und für
O fremdes Land, mein Herz nach dir!
Werd' ich nie dir näher kommen,
Da mein Sinn so zu dir steht?
Kömmt kein Schifflein angeschwommen,
Das dann unter Segel geht?
Unentdeckte ferne Lande, –
Ach mich halten ernste Bande,
Nur wenn Träume um mich dämmern,
Seh' ich deine Ufer schimmern,
Seh' von dorther mir was winken, –
Ist es Freund, ist' s Menschgestalt?
Schnell muß alles untersinken,
Rückwärts hält mich die Gewalt. –
Warum Schmachten?
Warum Sehnen?
Alle Tränen
Ach! sie trachetn
Nach der Ferne,
Wo sie wähnen
Schönre Sterne. – -
Ludwig Tieck
Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Herausgeber
aus: „Gedichte“ von Ludwig Tieck. Erster Theil. Neue, unveränderte Ausgabe. Verlag: Dreseden, Grimmer’scher Buchhandlung, 1834. Seite 1 – 2
Das Nachthorn (übersetzt aus dem Mittelhochdeutschem ins Deutsche)
1.
Wünsch mir, allerliebste Freundin,
eine angenehme, unbeschwerte Nacht.
Wenn mein Herz an deine treue Liebe denkt,
erfüllt mich das mit großer Freude
und lässt mich durchhalten
in dieser Zeit, in der ich
unglücklich und einsam
fern von dir bin
und niemand mich zu
trösten vermag außer du.
Die Sehnsucht
lässt mich nicht schlafen,
da ich nachts sehr viel an dich denke.
Süße Träume wecken meine Begierde,
so dass ich mir wünsche,
ich hätte das Glück,
sorglos eine Liebesnacht
ohne Ende verbringen zu können.
2.
Meine Sehnsucht lässt dich nicht los.
Deshalb wünsche ich mir oft,
auch du würdest von mir träumen, davon,
dass ich ganz unbeschwert bei dir wäre,
so, wie du es magst,
ans Herz gedrückt
und immer wieder
von deinen weißen Armen zärtlich umarmt,
und lass du, Liebste, im Schlaf
deine herzallerliebsten Brüste streicheln
würdest, wie ich es mir wünsche und so,
als ob ich selbst da wäre.
Auf diese Weise würde ich gern erwachen,
und mein Herz wäre sofort vergnügt.
3.
Oft bin ich soweit,
dass ich geradewegs glaube,
dich zu sehen, liebste Freundin,
als ob du leibhaftig in deiner ganzen
Schönheit vor mir stehen würdest,
so dass ich meine, es sei wirklich so,
und außer mir vor Freude bin.
Sobald deine Gestalt
sich jedoch verflüchtigt,
bereitet das meinem armen Herzen
bitteren Schmerz.
Je unglücklicher ich bin,
desto mehr muss ich an
die schönste Zeit
mit dir denken.
Denn die Sehnsucht nach dir
hält mich gefangen,
bis du mich aus meiner Einsamkeit erlöst.
Mönch von Salzburg
Johannes von Salzburg (2, Hälfte des 14. Jahrhunderts), Liederdichter, Komponist des Spätmittelalters
Originaltext in Mittelhochdeutsch:
Das Nachthorn
1.
Zart libste frau in liber acht,
wünsch mir ain liblich, frölich nacht,
wann so mein hercz dein treü betracht,
das freüet all mein kraft und macht
auf stäten syn,
so ich nu pin
dahin,
ellend und ain,
und nymand main
zu trösten mich
wenn dich.
mit senen ich den slaf bekrenk,
daz ich dy nacht gar vil an dich gedenk;
süzz trëum dy machent mich so gail,
daz ich mir wünsch das hail,
daz ich slaffen
solt an straffen
in sölcher liber sach an end.
2.
Dich lät nicht ain meins herczen gir,
dar umb so wünsch ich me wenn zwit,
daz dir sol traumen auch von mir,
wy ich gar frölich sey bey dir
und doch in gut
nach deinem munt
behut,
und daz du, mynnikliche dirn,
in süzzen slaf dy herczen libsten pirn
umbvingest nach dem willen mein,
als ich da selb solt sein:
in den sachen
sold entwachen,
mein hercz, sold frölich sein behend.
3.
Enczuket wird ich oft so hart,
daz ich wën an der selben vart,
ich seh dich, libstez frëulin zart,
vor mir gepildet schon von art
gar weiblich stan,
daz ich denn han
den wan,
ym sey also,
und pin gar fro
in herczen grund:
zu stund,
so mir entwischet dein figur,
das wirdt dem armen herczen vil ze sur,
ez mant mich an dy libsten zeit,
y herter ez ym leit;
wann dein belangen
hat gevangen
mich, bis du tröstest mein ellend.
An Myrtil, wenn deine Lippen mich berühren
Myrtil, wenn deine Lippen mich berühren,
Dann will die Lust die Seele mir entführen;
Ich fühl' ein sanftes, namenloses Beben
Den Busen heben.
Mein Auge flammt, Gluth schwebt auf meinen
Wangen;
Es schlägt mein Herz ein unbekannt Verlangen;
Mein Geist, verirrt in trunkner Lippen Stammeln,
Kann kaum sich sammeln.
Mein Leben hangt in einer solchen Stunde
An deinem süßen, rosenweichen Munde,
Und will, bey deinem trauten Armumfassen,
Mich fast verlassen.
O! daß es doch nicht außer sich kann fliehen.
Die Seele ganz in deine Seele glühen!
Daß doch die Lippen, die voll Sehnsucht brennen,
Sich müssen trennen!
Daß doch im Kuß' mein Wesen nicht zerfließet,
Wenn es so fest an deinen Mund sich schließet,
Und an dein Herz, das nimmer laut darf wagen,
Für mich zu schlagen!
Caroline Louise von Klencke
Caroline Louise von Klencke (1754 – 1802), deutsche Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Blumen auf’s Grab der Frau C. L. von Klenke: Aus ihren eigenen und ihrer Freunde Gedichte; Manuscript für Freunde“ Halberstadt, 1802. Seite 23 – 24
Gedicht wurde vertont: von Franz Schubert (1797 – 1828), ‚Heimliches Lieben‘, op. 106 (vier Lieder) no. 1, D 922 (1827) Gesang, Piano
Zwei
Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegen neigend.
In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen,
Sich zu finden, sich zu fassen.
Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsre
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.
Leis, gespenstig, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsre blassen Spiegelbilder.
Gustav Falke
Gustav Falke (1853 – 1916), deutscher Lyriker und Kinderbuchautor
‚Gesammelte Dichtungen‘ von Gustav Falke. erster Band. Verlag Alfrede Janssen, Hamburg und Berlin, 1912
Stumm betrachte ich den See den eine Brise kräuselt. Nichts weiß ich, wenn ich an das Ganze denke. Oder es ist das Ganze, das mich vergisst?
O lago nada me diz, nao sinto a brisa mexe-to nao seise soa feliz nem se desjo se-lo. Tremulos vicos risonhos. Na aqua a dormecida por que fiz ea dos sombos a spinha unca vida?
Es war einmal. Ich leb‘ am Tage vom Gedanken, nachts von der Qual; oft träum‘ ich nur vom Traum. Du gehst dahin und bist dir selbst es kaum. Im meinem Wahn jedoch, dem fieberkranken, sind deine Wesen ohne Zahl.
Karl Kraus
Karl Kraus (1874 – 1936), österreichischer Schriftsteller, Satiriker, Dramatiker, Publizist, Aphoristiker, Kultur-, Medien- und Sprachkritiker
aus: ‚Ausgewählte Gedichte‘
Verlag: Die Fackel, Wien, Leipzig, Verlag der Schriften von Karl Kraus (Kurt Wolff), München, 1920
Nichts gleicht der Süße deiner lieben Worte,
Die tränenschwer ins tiefste Herz mir sinkt.
Mir ist, als spränge eine ehrne Pforte,
Aus der die Lichtflut klarer Liebe dringt.
Nicht meine Kunst, die gramvoll sich verschleiert,
Nicht meine Rede, die sich unnütz müht,
Hat solche Güte zarten Worts gefeiert,
Wie aus den Zeiten deines Briefs sie blüht.
Wolf von Kalckreuth
Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906), deutscher Dichter, Übersetzer
Der zahme Vogel
Der zahme Vogel, war in einem Käfig, der freie Vogel war im Walde.
Als ihre Zeit gekommen war, trafen sie sich;
so wollte es das Schicksel.
Der freie Vogel ruft: "O Liebster, laß uns zum Walde fliegen:"
Der Vogel im Käfig zwitschert: "Komm her, laß uns beisammen im Käfig leben."
Sagt der freie Vogel: "Wo ist denn Platz hinter Stäben, seine Flügel zu spreiten?"
Der freie Vogel ruft: "Mein Liebling, singe die Lieder der Wälder."
Der Vogel im Käfig sagt: "Setz Die zu mir, ich will Dich unterweisen in der Sprache der Gelehrten."
Der Waldvogel ruft: "Nein, ach nein" Lieder können niemals gelehrt werden."
Der Vogel im Käfig sagt: "Weh mir, ich weiß sie nicht, die Lieder der Wälder."
Ihre Liebe ist heiß, voll Verlangen; doch können sie nie Schwinge fliegen. Durch die Stäbe des Käfigs schauen sie und sehen sich vergebens, einander zu kennen.
Sie flattern sehnsüchtig mit ihren Flügeln und singen: "Komm näher, mein Lieb!"
Der freie Vogel ruft: "Es geht nicht, ich fürchte die verschlossenen Türen des Käfigs. Der Vogel im Käfig zwitschert: "Weh, meine Flügel sind kraftlos und tot."
Rabindranath Tagore
Die einzige autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe. 1921. Übertragung vom englischen ins Deutsche: Hans Elfenberger / Jan Śliwiński (1884 – 1950)