An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum
An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum wuchsen all die Silber- und Goldnetze, die roten, blauen und grünen Papierketten, all die vergoldeten Nüsse und zierlichen Sächelchen, an denen fleißige Kinderhände sich wochenlang gemüht. Auf der langen Tafel lagen für jedes die Gaben ausgebreitet, nützliche Sachen, zum Wärmen, aber auch ein Spielzeug fürs Herz.
Else Ury
Johanna Else Ury (1877 – 1943, KZ Ausschwitz-Birkenau), deutsche Schriftstellerin, Kinder- und Jugendbuchautorin
Foto: Else Ury (1877 – 1943)
aus: „Nesthäckchen im weißen Haar“, Erzählung für junge Mädchen. Von Else Ury. Illustriert von Professor R. Sedlacek. Verlag: Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H., Berlin, 1918. Kapitel 6.
Moderner Dichterling
Ein glühend heisser Sommertag.
Der Jüngling im blühenden Grase lag
Im goldenen Sonnenschein.
Da war ein Blühen, ein heisses Weben,
Alles durchglüht von verlangendem Leben,
Von Lebenskraft und Überfluss,
Von üppiger Schönheit und tollem Genuss.
Der Jüngling selber blühend und rot,
Schrieb in sein Buch ein Lied – vom Tod!
Alice Berend
Alice Berend (1875 – 1938), deutsche Schriftstellerin
Bildnis: Alice Berend (1875 – 1938)
Portät von Maler Emil Wilhelm Stumpp (1886 – 1941)
Im roten Laubwerk voll Guitaren ..
Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldner Karren.
In brauner Schatten Ruh verstummen
Die Alten, die sich blöd umschlingen.
Die Waisen süß zur Vesper singen.
In gelben Dünsten Fliegen summen.
Am Bache waschen noch die Frauen.
Die aufgehängten Linnen wallen.
Die Kleine, die mir lang gefallen,
Kommt wieder durch das Abendgrauen.
Vom lauen Himmel Spatzen stürzen
In grüne Löcher voll Verwesung.
Dem Hungrigen täuscht vor Genesung
Ein Duft von Brot und herben Würzen.
Georg Trakl
Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.
aus: „Gedichte“ von Georg Trakel. Verlag: Kuert Wolff Verlag, Leipzig, 1913. Seite 10
Der Rabe Ralf
Der Rabe Ralf
will will hu hu
dem niemand half
still still du du
half sich allein
am Rabenstein
will will still still
hu hu
Die Nebelfrau
will will hu hu
nimmt's nicht genau
still still du du
sie sagt nimm nimm
's ist nicht so schlimm
will will still still
hu hu
Doch als ein Jahr
will will hu hu
vergangen war
still still du du
da lag im Rot
der Rabe tot ,
will will still still
du du
Christian Morgenstern
Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer
aus: „Galgenlieder – nebst der Gingganz. Elfte Auflage. Verlag von Bruno Cassirer, 1913. Seite 12
Maler und Tierfreund
Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt,
Und sie gefiel mir sehr:
Ein blauer Himmel, aus dem die Sonne wie Wonne strahlt,
Und darunter weites, ruhiges, grünes Meer.
„Einsame Sehnsucht.“
Danach fuhr ich irgendwo hin,
Um einen kleinen Affen zu erwerben,
weil ich ein Tierfreund bin.
Aber was einem die Tiere nicht alles verderben.
Wieder zu Haus, stieß ich aus einen Schrei,
Denn mein Bild war verhext.
Erstens hatte mein Papagei
Etwas Groteskes ins Meer gekleckst
Und das geradezu künstlerisch kühn.
Aber das Wasser selber war abgeleckt
Von meinem Wolfshund. Der lag vom Schweinfurter Grün
Vergifet am Boden, verreckt.
In den Himmel hatte sich eine Fliege geklebt,
Und zwar mir dem Rücken.
Die strampelte, wie man, wenn man Großes erlebt,
Mit den Beinen strampelt vor lauter Entzücken.
Und offenbar nicht minder beglückt
In ihrer Nähe
Hing auch mein Laubfrosch ans Bild angedrückt
Und tat so, als ob er die Fliege nicht sähe.
Da wollte mein Affe mit lautem Geschrei – – –
Doch ich band ihn fest. Und lächelte dann.
Wie gut, daß man bei der Ölmalerei
Alles noch übermalen kann.
Mit Phantasie das Gegebne fixiert –
Genie und Farbe und Lichter dick aufgetragen –
Schwarz, Weiß, Rot, Ocker mutig darübergeschmiert – – –
Ein schönes Bild, muß ich selber sagen,
„Mein Selbstporträt.“
Joachim Ringelnatz
Hans Bötticher (1883 – 1934), deutscher Dichter, Schriftsteller, Maler. Pinko Meyer, Fritz Dörry und Gustav Hester, Gustav Dörrig, Fritz Bötticher
aus: „Gedichte – allerdings“, von Joachom Ringelnatz. Verlag: Ernst Rowohlt, Berlin, 1928. Seite 39 – 40
Lebenskranz.
In schweren Träumen lag ich diese Nacht,
Nur an das Eine hab' ich stets gedacht,
Des Dichters Wort: >Hab' einst in Jugendtagen
Wohl auf dem Haupte einen Kranz getragen.<
Mir aber war's ich träge fort und fort
In meinen Haaren Blumen, lang' verdorrt.
Die wilden Blüten erster Jugendzeit
Zu Rosen formten sich, voll Herrlichkeit,
Die rot und röter flammend mich umfingen,
Bis sie entblättert in den Dornen hingen.
Doch bald entsprossten diesen, gross und weiss,
>Fior' di Passion<, leuchtend, fieberheiss.
Weh' mir, auch sie verwelkten. Spitz und stark
Nur noch die Dornen stechen mir in's Mark, -
So Jahr um Jahr. An letzter Ruhestatt
Entkeimt daraus vielleicht ein Lorberrblatt.
Hermine von Preuschen
Hermione von Preuschen (1854 – 1918), deutsche Malerin, Dichterin
aus: „Via Passions: Lebenslieder“ von Hermine von Preuschen. Verlag von Carl Reissner, Dresden und Leipzig, 1895. Seite 14
Morgenrot
Hinaus, hinaus! der Morgen raut,
Es öffnet sich die Welt!
Bald tritt hervor die Himmelsbraut
Aus duft'gem Purpurzelt!
Es reget sich in stiller Brust
Der Kräfte schlummernd Heer,
Es wollt die unerschaff'ne Luft
Ein nachtbedecktes Meer.
Es senkt das glüh'nde Himmelsrot
Sich auf den bangen Traum,
Und augenblicklich schmilzt die Rot
Im lichtererfüllten Raum!
Es bricht der Dämme dunkler Wall -
Und Leidenschaft und Tat
Stürzt sich in das enflallmmte All,
Des Aufgang's goldn'ne Saat!
Karoline Fidler
Karoline von Fidler (1801-1874), deutsche Dichterin. andere Namen: Karoline Winkler, Karoline Charlotte Schultz
aus: Gedichte“ von Karoline Fidler. 1844. Als Handschrift erschienen. Seite: 3
Roter Mohn
Der Wald steht grün. Die Wiese ist mit Blüten
so reich besät wie dort das Aehrenfeld
mit rotem Mohn – dem vollen, lichtdurchglühten.
Es strotzt im Frühlingsschmuck die ganze Welt;
rings um mich her ein üppig Blühen, Prangen,
voll von Begehrlichkeit und Lichtverlangen.
Hoch steht das Gras, geneigt vom Windesfächeln.
Ganz still-verträumt seh ich den Halmen zu,
um meine Lippen spielt ein mattes Lächeln.
Der Wind küßt meine Stirn – warum nicht Du? ..
O du, o du, daß jetzt in dieser Stunde
dein Arm mich nicht umschlungen hält im Mohn,
daß heiße Küsse nicht von deinem Munde
auf meinen sehnsuchtsoffnen Lippen lohn! ...
Else Galen-Gube
Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube
aus: „Aus dem Leben und den Träumen eines Weibes – Gedichte von Else Galen-Gube. Verlag von Hermann Seemann Nachfolger, Leipzig, 1903. Seite 23
Aus roter Leidenschaft
Du! Ich bin rot, ich bin dreimal rot,
und meine Liebe die glüht, die loht
wie der Fackeln flackerndes Feuer.
Die lockt und die winkt mit weißen Armen,
die kennt kein Erbarmen – – –
— — — — — —
Du! Ich bin rot,
doch süß ist der Tod
in meinen Armen ...
Else Galen-Gube
Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube
aus: „Aus dem Leben und den Träumen eines Weibes – Gedichte von Else Galen-Gube. Verlag von Hermann Seemann Nachfolger, Leipzig, 1903. Seite 1
An eine Rosenknospe
Du zarte Knospe, sehn nicht blaß,
Ich tränke Dich mit hellem Naß,
Ich sonne Dich mit Liebesblick,
Du Pfand von stillem Herzensglück.
O Knospe, seltsam ist Dein Los,
Die reiche Welt in Deinem Schoß
Ging ungekannt mit Dir zur Gruft,
Verschlossen blieb Dein sanfter Duft.
Da nahm ich Dich, und hegte Dich,
Erschließe nun Dich gern für mich,
Dein zartes Rot, Dein lichtes Grün,
Wie reine Lieb' und Hoffnung blüh'n.
Es tönt zu mir Dein sanfter Hauch:
Einsames Herz, erschließ Dich auch,
Du nasses Auge, blick empor,
Dort blüht, was je das Herz verlor.
Helmina von Chezy
Wilhelmine Christiane de Chézy, geborene von Klencke (1783 – 1856), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin, Librettistin
aus: „Herzenstöne auf Pilgerwegen“ Ein Troßtbild des Seelenlebens in Glaube, Hoffnung, Liebe. Ihrer Majestät, der Allerduchlauchtigsten Kaiserin = Königin Carolina Augusta zugeeignet von Helmina von Chezy, geborne Freiin Klencke. Sulzbach, in der von Deidel’schen Buchhandlung. 1833 . Seite 19