Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.
Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

Gerog Trakl

Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.

Die Raben

Über den schwarzen Winkel hasten

Die Raben

Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.
O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören
Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern

Georg Trakl

Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.

Glasglocken

Auf alten Schnee sind etliche gestellt

Glasglocken

Glasglocken ihr! 
Seltsame Pflanzen, immerdar geschützt,
Und draussen stürmt der Wind durch meine Sinne!
Ein ganzes Tal der Seele ewig regungslos
Und feuchte Wärme, mittags eingeschlossen!
Die Bilder, die man an des Glases Oberfläche sieht!


Hebt niemals eine auf!
Auf alten Mondschein sind ein paar gestülpt.
Blick' durch das Blattwerk:
Es sitzt vielleicht ein Landstreicher auf dem Thron,
Man meint, Seeräuber lauerten auf einem Teich,
Und Vorwelttiere drohen Überfall den Städten.

Auf alten Schnee sind etliche gestellt,
Gestülpt sind andre über alten Regen.
(Habt Mitleid mit dem eingeschlossnen Dunst!) 
ch hör' ein Fest am Sonntag feiern in der Teurung,
Ein Lazarett ist auf dem Erntefeld,
Und alle Königstöchter irren an einem Fasttag durch die Auen!

Gib acht auf die am Horizont zumal!
Sie decken alte Ungewitter sorgsam zu!
O, irgendwo muss eine grosse Flotte im Sumpfe sein!
Und Schwäne haben, deucht mich, Raben ausgebrütet!
(Kaum sieht man durch den feuchten Dunst!)

Eine Jungfrau begiesst Farnkraut mit heissem Wasser,
Und eine Schar von kleinen Mädchen belauscht den Klausner in der Zelle.
In einer gift'gen Grotte Grund sind meine Schwestern eingeschlafen!
O harrt, bis endlich Mond und Winter Die Glocken decken, rings im Eis verstreut!

O harrt, bis endlich Mond und Winter
Die Glocken decken, rings im Eis verstreut! 

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.