Dichters Naturgefühl Es war an einem jener Tage, Wo Lenz und Winter sind im Streit, Wo naß das Veilchen klebt am Haage, Kurz, um die erste Maienzeit; Ich suchte keuchend mir den Weg Durch sumpfge Wiesen, dürre Raine, Wo matt die Kröte hockt' am Steine, Die Eidechs schlüpfte über'n Steg. Durch hundert kleine Wassertruhen, Die wie verkühlter Spüligt stehn, Zu stelzen mit den Gummischuhen, Bei Gott, heißt das Spazierengehn? Natur, wer auf dem Haberrohr In Jamben, Stanzen, süßen Phrasen So manches Loblied dir geblasen, Dem stell dich auch manierlich vor! Da ließ zurück den Schleier wehen Die eitle vielbesungne Frau, Als fürchte sie des Dichters Schmähen; Im Sonnenlichte stand die Au, Und bei dem ersten linden Stral Stieg eine Lerche aus den Schollen Und ließ ihr Tirilirum rollen Recht wacker durch den Aethersaal. Die Quellchen, glitzernd wie Kristallen, – Die Zweige, glänzend emaillirt – Das kann dem Kenner schon gefallen, Ich nickte lächelnd: "es passiert!" Und stapfte fort in eine Schluft, Es war ein still und sonnig Fleckchen, Wo tausend Anemonenglöckchen Umgaukelten des Veilchens Duft. Das üpp'ge Moos – der Lerchen Lieder – Der Blumen Flor – des Krautes Keim – Auf meinen Mantel saß ich nieder Und sann auf einen Frühlingsreim. Da - alle Musen, welch ein Ton! – Da kam den Rain entlang gesungen So eine Art von dummen Jungen, Der Friedrich, meines Schreibers Sohn. Den Epheukranz im flächsnen Haare, In seiner Hand den Veilchenstrauß, So trug er seine achtzehn Jahre Romantisch in den Lenz hinaus. Nun schlüpft er durch des Hagens Loch, Nun hing er an den Dornenzwecken Wie Abrams Widder in den Hecken, Und in den Dornen pfiff er noch. Bald hatt' er beugend, gleitend, springend, Den Blumenanger abgegrast, Und rief nun, seine Mähnen schwingend: "Viktoria, Trompeten blast!" Dann flüstert er mit süßem Hall: "O, wären es die schwed'schen Hörner!" Und dann begann ein Lied von Körner; Fürwahr, du bist 'ne Nachtigall! Ich sah ihn, wie er an dem Walle Im feuchten Moose niedersaß, Und nun die Veilchen, Glöckchen alle Mit sel'gem Blick zu Sträußen las, Auf seiner Stirn den Sonnenstral; Mich faßt' ein heimlich Unbehagen, Warum? Ich weiß es nicht zu sagen, Der fade Bursch war mir fatal. Noch war ich von dem blinden Hessen Auf meinem Mantel nicht gesehn, Und so begann ich zu ermessen, Wie übel ihm von Gott geschehn; O Himmel, welch' ein traurig Loos, Das Schicksal eines dummen Jungen, Der zum Copisten sich geschwungen Und auf den Schreiber steuert los! Der in den kargen Feierstunden Romane von der Zofe borgt, Beklagt des Löwenritters Wunden Und seufzend um den Posa sorgt, Der seine Zelle, kalt und klein, Schmückt mit Aladdins Zaubergabe, Und an dem Quell, wie Schillers Knabe, Violen schlingt in Kränzelein! In dessen wirbelndem Gehirne Das Leben spukt gleich einer Fey, Der – hastig fuhr ich an die Stirne: "Wie, eine Mücke schon im Mai?" Und trabte zu der Schlucht hinaus, Hohl hustend, mit beklemmter Lunge, Und drinnen blieb der dumme Junge, Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß! Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Gedichte“ von Annette von Droste-Hülsdoff. Verlag: H. Heemann Nachfolger, Berllin, 1907. Fünfter Teil. Scherz und Ernst. Seite 125 – 129