Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen auf Felder und Rain

Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen auf Felder und Rain schwermütigen Sinnen der scheidende Schein. Schwermütiges Sinnen wiegt flüsternd mich ein mein Herz zu umspringen im scheidenden Schein.

Sind fremde Träume ziehn sonnengleich über Heiden und Bäume, rotflimmernd und weich, endlos durch die Räume ziehn sonnengleich sie über das Reich der Heiden und Bäume.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Übertragung von Graf Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906)

Gedicht aus:

‚Ausgewählte Gedichte‘, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, 1906, Insel-Verlag Leibzig

Der alte Kirschbaum

eine Erinnerung

Der alte Kirschbaum

Der alte Kirschbaum

blüht; eine Erinnerung

an vergangene Jahre.

姥桜さくや老後の思ひ出

Ubazakura

saku ya rōgo no

omoiide

Matsuo Basho

Matsuo Basho (1644 – 1894) einer der bedeutensten Haiku Dichter

Übersetzt von: Marianna Barbierie-Nini (1818 – 1887)

Der Regen bringt

Der Regen bringt den Schmerz zur Ruh.

Marina Iwanowna Zwetajewa

Marina Iwanowna Zwetajewa (1892 – 1941), russisische Schriftstellerin, Dichterin

Krähen

Krähen

Ich will den Tag verbringen in den Feldern,
will lächerlich wie jene Scheache stehen;
die groen Vögel möchten aus den Wäldern
auch so auf mein Gewand herniederwehn.

Um Schultern krallen, flüstern in mein Ohr,
aus Mären, die im grünen Buch sie lassen,
von Hugin und von Munin, Thyr und Thor,
von Yggdrasil, dem Weltenbaum der Asen.

Und was der Väter Dienstwenok beim Adepten,
des Roten Leuen Such, dem Blumengift,
der Mauerspalte, drein sie bergend schleppten
des sie den Herrn geheim erfundene Schrift,

und anderes Gewinde, blumiges Kraus,
altfränkisch duftend wie Leukojenblüten,
was ihnen Nachtrab schrieb und Fledermaus
und was sie selbst in kluges Häuptlein hüten.

Doch manche würden gleich die Scholle hacken,
um meine Füße, die zum Kosten lädt
so wie ein Weißbrot, feucht und frisch vom Backen,
bereitet mit dem blanken Feldgerät.

An weißen Mandeln und dem Zitronat,
an Engerlingen sich und Würmern letzten,
der Süße endlich satt und Rast und Rat
und schweigend sich auf meine Hände setzen.

Und einmal schlügen Schwärme, Riesenwehen,
den wilden Flug aus Mitternacht mir nach
mit harten Liedern, die nur ich verstehe,
in ihrem scharfen, ungefügen Krah.

Mit unheilvollen Braus im düsteren Kleid
und mit erzürnten, drohendem Bewegen;
so fielen sie in gottlose Zeit
und auf die Länder als ein schwarzer Regen.

Die Welt verstummte. Bis der Weile stöhnte.
Und weithin klagte heulend eine Stadt.
Zerfreßnes Auge, das der Vater höhnte
und seiner Mutter Herz verstoßen hat.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Choziesner 1894 – 1943, ermordet in Ausschwitz) deutsche Lyrikerin, Schriftstellerin

Gedicht aus: Gesamtausgabe ‚Das lyrische Werk Gedicht aus: Gesamtausgabe Das lyrische Werke

Im Wald zwei Wege

der weniger betreten war

Im Wald zwei Wege

In Wald zwei Wege boten sich mir dar und ich ging den, der weniger betreten war – und das veränderte mein Leben.

Walt Whitman

‚Gesang mit mir selbst‘, übersetzt aus dem Amerikanischen ins Deutsche von Max Hayer. Verlag Leipzig und Wien. Wiener Graphische Werkstätte, 1902.

In meiner Jugend

Insekten zu untersuchen

In meiner Jugend

In meiner Jugend habe ich meine Zeit damit verbracht, Insekten zu untersuchen.

Maria Sibylla Merian

Maria Sibylla Merian (1647 – 1717) deutsche Naturforscherin, Kupferstecherin, Künstlerin, Forschungsreisende

Gleich wie Blätter im Walde

Blätter verweht zur Erde der Wind

Gleich wie Blätter im Walde

Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen;
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling;
So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und jenes verschwindet.

Heinrich Heine

Heinrich Heine (1797 – 1856), deutscher Schriftsteller, Journalist

Mondlicht

Wie ein Schwan still die Bahn

Mondlicht

Wie ein Schwan
still die Bahn
zieht der Mond ein blassem Glanz
durch den lichten Wolkenkranz.

Heil gensehen
krönt den Hain,
und herab aus Sternenhöhn
goldene Flocken flimmern weh’n.

Einen See
gleich wie Schnee,
in dem klaren Mondschein
liegen Triften, Tal und Hain.

Märchenpracht,
dieser Nacht!
Blatt und Blumenglocke glänzt,
von Demant und Perl‘ bekränzt.

Ew’ge Kraft,
zauberhaft,
führst du deine Himmelsbahn,
laß mich deine Himmel ahnen!

Dilla Helena

Dilia Helena (1816 – 1894) Lyrikerin der Spätromantik

Gedicht „Mondlicht“ wurde auch vertont:

Carl Loewe (1796 – 1869) Album, 3 Lieder, op.107; no 1. Mondlicht, Gesang und Klavier: Robert Wörle, Cord Garben. Verlag Carl Loewe, Lieder & Balladen, Complete Edition Vol. 20. Erstveröffentlichung 1842.

Thelyma Nelly Helene Branco (1816 – 1894), as Dilia Helena

Liebende

deiner, Falterflügel, zwiegeteilt

Liebende

Ihre Leiber standen in den Abendschatten licht,
schmal und hoch, vor schimmerlose Bleiche: 
Blütenzweige, den Leib für Liebe bricht,
wird gewiegt und taugeküßt am Teiche.
Stirn um Stirn kroch übers Dach sie anzusehen,
und die Schar der zarten Wolkentürme
flockte zögernder in lindern Wehn:
ihre Leiber standen licht ein Dämmen.
War das Eine kurzer Weg hinabgeeilt,
riefs das Andre um mit stillen Schauen;
feiner Falterflügel, zwiegeteilt, schleierblaß,
verwuchsen sie im Grauen.
Leise, wie ein Stückchen leichter Tag,
sind sie dann in Nacht und Gras gegangen.-
Und die braunen Hasen im Verschlag äugten wundernd durch die Gitterstange.

Gertrud Kolma

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

aus: „Das lyrische Werk“. Verfasserin: Gertrud Kolma. Verlag: Kösel Verlag 1960