Erster Frühling

Auf dem noch unüberkieselten Weg liegt Laub

Erster Frühling

Seht man heut durch den Stadtpark, ist das Stroh von den Beeten weg,
Und schon schwillt stellenweise aus dem Braun des Rasens ein grüner Fleck.

Auf dem noch unüberkieselten Weg liegt Laub, Spreu und anderes Zeug verstreut.
Ihr starken Luftgeräusche! Woran erinnere ich mich heut'?

An mein Kinderzimmer, wenn jemand an der Nähmaschine saß.
Vergessenes Duett: Nähmaschine und fistelndes Gas!

Lagen da nicht auch, wie heute, Laub, Spreu und anderes mehr, -
Bunte Streifen, Flicken, Bänder, Volants und Seidenreste umher?

Franz Werfel

Franz Viktor Werfel (1890 – 1945) österreichischer Schriftsteller. Beeinflusste den lyrischen Expressionismus nachhaltig

Der Maulwurf

Der Maulwurf ist nicht blind

Der Maulwurf

Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur

Ein kleines Auge, wie er’s brauchet, die Natur.

Friedrich Rückert

Freimund Reimar (1788 – 1866), deutscher Dichter, Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtungen. Bekannt als Friedrich Rückert

Frühlingswind

Er flog mit Schweigen

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Er glitt durch die Flöte,
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.

Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten

Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.

Hugo von Hofmannsthal

Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal (1874 – 1929) österreichischer Schriftsteller, Dichter, Librettist, Essayist, Erzähler, Dramatiker

Sommer

Die Sonne war noch nicht aufgegangen

Sommer

Wunderlich war’s, daß ich an diesem Morgen weit früher munter war: es war im Sommer. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die frühe Lerche stieg empor, und jauchzte ihr fröhliches Lied, das sonderbar in meinem Herzen wiederklang.

Ludwig Tieck

Johann Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Herausgeber, Kritiker und Theoretiker der Romantik. Pseudonyme: Peter Lebrecht und Gottlieb Färber.

Herbst

Wo verdorrt, Blätter stieben

Herbst

Hohler Ton,
Violenton,
Bang im Herbste,
Stöhnte mit ein-
Töniger Pein
Lang im Herzen.

Ganz verstummt,
Wenn Turm summt.
Stunden schlagen,
Bleich und wach
Wein ich nach
Früheren Tagen.

Und ich geh
Im Wehn und Weh
Hingetrieben,
Da, dort,
Wo verdorrt
Blätter stieben.

Paul Verlaine

Chanson d’automne

Les sanglots longs
des violons
de l’automne
blessent mon cœur
d’une langueur
monotone.

Tout suffocant
et blême, quand
sonne l’heure,
je me souviens
des jours anciens
et je pleure.

Et je m’en vais
au vent mauvais
qui m’emporte
deçà, delà,
pareil à la
feuille morte.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

aus ‚ Chanson d’automne‘

‚Ausgewählte Gedichte‘ , übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, Verlag Pöschel & Trepte, 1906. Original im Lemerre-Verlag Paris 1866

Steht ein Haselstrauch

der hat Blätter rot wie Blut

Steht ein Haselstrauch an unsrem Wiesenhang

Steht ein Haselstrauch an unsrem Wiesenhang,
der hat Blätter rot wie Blut.
Saß ich dort so manchesmal und lacht’und sang,
Ach nun ist mir weh zu Mut.

Hängt ein rotes Kleid in meinem Kleiderspind,
und daneben steh’n die Schuh‘,
die den bösen Weg mit mir gewandert sind,
wo mein Herz verlor die Ruh.

Liegt ein kleines Bild veborgen tief im Schrein,
seh es nimmer, nimmer an.
Denn der’s einst mir gab, ach er ist Schuld allein.
daß ich nicht mehr froh sein kann.

Anna Klie

Anna Klie (1885 -1913), deutsche Kinder- Jugendbuchautorin, Schriftstellerin, Dichterin, Lyrikerin

Gedicht wurde mehrfach vertont.

Im Walde

Wie ist es schön, so immerfort

Im Walde

Wie ist es schön, so immerfort
tief in den Wald hinein zu wandern,
und spricht auch Keins von uns ein Wort,
als dächt es kaum der Näh des andern!

O schweigen wir! mir ist’s genug
an deiner Seite hin zu gehn,
um schwebt bei jedem Athemzug
uns doch tief innerstes Verstehen.

Anna Klie

Anna Klie (1885 -1913), deutsche Kinder- Jugendbuchautorin, Schriftstellerin, Dichterin, Lyrikerin

Ich hatt einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen, so lieblich und hold,
Wohl that ich das Blümchen versorgen;
Ich hütet‘ es baß, wie Demanten und Gold,
Und schaut‘ es am Abend und Morgen.

Voll‘ Freude bemerkt‘ ich, wie schön es gedieh,
Doch währte die Freude nicht lange
Es senkte das Häuptchen und duftete nie:
Mir ward um das Blümchen so bange.

Da kam einst ein Mädchen im Garten zu mir
Ich ließ es ja gerne geschehen;
Stolz hob sich das Blümchen, und prangte vor ihr,
Nie hatt‘ ich so schön es gesehen.

Schnell bückt‘ sich das Mädchen und pflückt‘ es für sich,
Mir waren die Sinne geschwunden;
Nicht Worte, nicht Lieder beschreiben, was ich
Bei diesem Verluste empfunden.

Ich konnte nicht klagen, doch thränenvoll hing
Mein Auge noch lang an der Stelle;
Da hört‘ ich ein Stimmchen, als wimmernd ich ging,
Es tönte so silbern und helle.

Du pflegtest ein Blümchen zwar lieblich und schön,
Doch lohnt es die Pflege nur selten:
Denn Männertreu heißt es, meist wirst du es sehn
Die Liebe mit Undank vergelten.

Therese von Artner

Therese von Artner (1772 – 1829), ungarische-deutsche Schriftstellerin