Am Waldesaume träumt die Föhre

Am Himmel weisse Wölkchen nur

Am Waldessaume träumt die Föhre

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weisse Wölkchen nur;
Es ist so still, dass ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Freude

Kein Mensch auf Erden hat mir soviel Freude gemacht

Kein Mensch auf Erden hat mir soviel Freude gemacht als die Natur mit ihren Farben, Klängen, Düften, mit ihrem Frieden und ihren Stimmungen.

Peter Rosegger

Peter Rosegger (1843 – 1918), österreichischer Volkschriftsteller, Dichter. Pseudonym: P. K. Petri Kettenfeier

Spielmannslied

Hört‘ wieder ich, als wär’s ein Traum

Spielmannslied
 

Im Frührot stand der Morgenstern
Vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein flüchtig Schülerkind,
Im silbergrauen Felde lag;
Die Wimper schwankte falterhaft,
Und ich entschlief an Ackers Rand,
Der Sämann kam gemach daher
Und streute Körner aus der Hand.

Gleich einem Fächer warf er weit
Den Samen hin im halben Rund,
Ein kleines Trüppchen fiel auf mich
Und traf mir Augen, Stirn und Mund;
Erwachend rafft' ich mich empor
Und stand wie ein verblüffter Held,
Vorschreitend sprach der Bauersmann:
Was bist du für ein Ackerfeld?

Bist du der steinig harte Grund,
Darauf kein Sämlein wurzeln kann?
Bist du ein schlechtes Dorngebüsch,
Das keine Halme läßt hinan?
Du bist wohl der gemeine Weg,
Der wilden Vögel offner Tisch!
Bist du nicht dies und bist nicht das,
Am End' nicht Vogel und nicht Fisch?

Unfreundlich schien mir der Gesell
Und drohend seiner Worte Sinn;
Ich ging ihm aus den Augen sacht
Und floh behend zur Schule hin.
Dort gab der Pfarr den Unterricht
Im Bibelbuch zur frühen Stund';
Von Jesu Gleichniß eben sprach
Erklärend sein beredter Mund. -

Die Jahre schwanden und ich zog
Als Zitherspieler durch das Land,
Als ich in einer stillen Nacht
Die alte Fabel wieder fand
Vom Sämann, der den Samen warf;
Da ward mir ein Erinnern licht,
Ich spürte jenen Körnerwurf
Wie Geisterhand im Angesicht.

Was bist du für ein Ackerfeld?
Hört' wieder ich, als wär's ein Traum;
Ich seufzte, sann und sagte dann:
O Mann, ich weiß es selber kaum!
Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund;
Ich glaub', ich bin der offne Weg,
Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund'.

Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn,
Statt Furchen zieh'n Geleise hin
Von harten Rädern ausgehöhlt,
Und nackte Füße wandern drin;
Das kommt und geht, doch fällt einmal
Ein irrend Samenkörnlein drauf,
So fliegt ein hungrig Vöglein her
Und schwingt sich mit zum Himmel auf. 

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Buch der Natur. Seite 17

Neuerer Gedichte 1957

Die Natur

Die Natur hat in der Kunst den großen Vorteil

Die Natur hat in der Kunst den großen Vorteil, als fertig zu erscheinen.

Christian Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker

Hier täuscht in süßen Fantasien

Mich mancher schöne Traum

Hier täuscht in süßen Phantasien
Mich mancher schöne Traum:
Und über mir rauscht ganz allein
Ein schwarzer Fichtenbaum.

Christian Felix Weisse

Christian Felix Weisse (1726 – 1804), deutscher Schriftsteller, Dichter, Pädagoge

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen blühet da

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen, blühet da
Für meinen Geist und mein Gesicht;
O blühet fort und welkt doch ja
In diesen dreien Tagen nicht!

In diesen dreien Tagen will,
Zu meinem himmlischen Entzücken,
Begleitet von den Musen, still
Mein Mädchenkommen und euch pflücken!


J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Herbstbild

Die schönsten Früchte ab von jedem Baum

Herbstbild

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker

When I was a bird

I climbed up the karaka tree

When I was a bird

I climbed up the karaka tree
Into a nest all made of leaves
But soft as feathers.
I made up a song that went on singing all by itself
And hadn't any words, but got sad at the end.
There were daisies in the grass under the tree.
I said just to try them:
"I'll bite off your heads and give them to my little
          children to eat."
But they didn't believe I was a bird;
They stayed quite open.
The sky was like a blue nest with white feathers
And the sun was the mother bird keeping it warm.
That's what my song said: though it hadn't any words.
Little Brother came up the patch, wheeling his barrow.
I made my dress into wings and kept very quiet.
Then when he was quite near I said:  "Sweet, sweet!"
For a moment he looked quite startled;
Then he said:  "Pooh, you're not a bird; I can see
          your legs."
But the daisies didn't really matter,
And Little Brother didn't really matter;
I felt just like a bird.

Katherine Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten

Schöpfersliebe

Bald wirst du den Blumenbecher füllen

Schöpfersliebe.
Liebe! du Allmächtige! du Eine!
Die du unsichtbar im Weltall glimmest!
Du giebst Leben!

Jetzt, daß nicht sich die Natur ermüde,
Zogst du jede Kraft in dich zurücke
Von den Fluren.

Bald wirst du den Blumenbecher füllen,
Ihn zur Lust auf Erden auszugießen
Mit dem Frühling.

Denn es nimmt uns nimmer deine Linke,
Was nicht tausendfach die Rechte wieder
Uns erstattet.

Du bist's, die den Staub zum Staube träget,
Die im Samen das Verlangen wecket,
Frucht zu werden!

Du bist's, die uns Trost verspricht bey Sternen,
Uns ins Grab zur süßen Ruhe bettet,
Du, o Liebe!

Und Du solltest, die du ewig wirkest,
Mächtig und allgegenwärtig thronest,
Uns verlassen?

Uns, die Du uns lehrtest, dich empfinden,
Aus der Kette deiner Hände reißen,
Und vernichten?

Caroline Louise von Klencke

Caroline Louise von Klencke (1754 – 1802), deutsche Dichterin, Schriftstellerin