Schön-Ellen

Der junge Kaiser reitet

Schön-Ellen.

Der junge Kaiser reitet
vorbei an Schön-Ellens Haus,
Schön-Ellen lehnet im Erker
und schaut aus dem Fenster hinaus.

Der junge Kaiser ist traurig,
er grüßt nach Schön-Ellens Tür;
Schön-Ellen tritt aus der Pforte
licht wie der Morgen herfür.

Der blonde junge Kaiser
tritt zur Kemenate herein –
doch langsam geht er von dannen
bei des Tages frührotem Schein ...

Dann reckt er sich in den Schultern,
in Lust ist sein Trauern verkehrt,
es summt ihm ein Lied auf den Lippen,
und singend steigt er zu Pferd:

»O du weiße Pracht in dunkler Nacht!
O du stolze, du siegende Kaisermacht!«

Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

.

Waldhexe

Meinen schimmernden Perlenschmuck wirst du mir

Waldhexe

»Du, meine Sinne sind wild nach dir –
nichts fühl ich, als das tolle Verlangen,
daß du nur einmal am Halse mir
selig-gekreuzigt möchtest hangen!«

»Dann will ich dich küssen im taumelnden Rausch,
glühend – bis deine Lippen bluten,
bis im glückseligen Wonnetausch
auflodern all die verhaltenen Gluten!«

*

Das Hexenweib lag am Felsenschacht
und blickte hinauf zu den Höhn;
sie seufzte so wild in die herbstliche Nacht
und klagte ihr Sehnen dem Föhn.

Und der Föhn, der trug es weit fort ins Land
und erzählte von ihrer Qual
dem wogenumbrandeten Meeresstrand
und den murmelnden Quellen im Tal.

Der erzählte: Da unten im Zauberwald
haust eine verwunschene Fei,
allnächtlich vernehm ich der Huldgestalt
wahnsinnigen Sehnsuchtsschrei.

Ich höre die Worte, die sie spricht,
in atemverhaltendem Lauschen,
seh, wie sie wankend zusammenbricht,
wenn im Dickicht die Zweige rauschen.

Und ich seh eine nordische Reckengestalt
im Mondlicht, dem totenblassen,
die sie an sich preßt mit Titanengewalt
im tollen selgen Umfassen.

Dann wird es lebendig im stillen Grund,
dann weichen die Nebelschleier,
dann saugt sich die Teuflin ihm fest an den Mund,
dämonisch mit Höllenfeuer –

Und sie schluchzt: »Was weißt du von meinem Begehr,
und daß ich nach dir fast verschmachtet,
daß ich deiner geharrt, mein Pfühl blieb leer –
Komm, teil ihn mit mir, wenn es nachtet ...

Teil alles mit mir, was ich geben kann,
was mein in der Hölle, auf Erden –
Du sollst noch heut der glückseligste Mann
in meinem Zauberwald werden!

Meinen schimmernden Perlenschmuck wirst du mir
in die wallenden Locken binden,
und Seide vom Indusstrand wollen wir
um die schlanken Glieder uns winden.

Laß meiner Zähne aufleuchtendes Weiß
in die nackte Brust sich dir graben,
laß dich küssen, – küssen so glühend heiß,
ich muß, ich will dich ja haben! ...

Mit lechzenden Lippen will ich heut Nacht
deine schäumende Jugendkraft trinken,
bis goldig im Osten das Frührot erwacht,
und taumelnd zu Füßen dir sinken.

Und du lösest mit wollustbebender Hand
meine Haare, die goldig-roten,
die wallen hernieder auf mein Gewand,
als wenn feurige Schlangen lohten.

Und ich werfe mich über mein Lager hin,
bebend vor tollem Begehren ...
So sehnsuchtsdurchglüht war noch nie mein Sinn,
du, – heut will ich nichts dir verwehren!«

*

»Dein eigen bin ich im Liebesrausch
so ganz, bis die Sinne dir schwinden –
du sollst im wahnsinngen Wonnetausch
die Seligkeit bei mir finden ...

Komm, laß mich endlich an deiner Brust,
einschlummern, wenn es nachtet,
ich hab, wie kein Weib sonst, nach dir in Lust
heimlich – glühend geschmachtet!«

*

»Jetzt hab ich dich endlich, jetzt bist du mein,
doch bald deckt Frührot die Halde –
und ich weiß es: Beim dämmernden Morgenschein
mußt du fort von mir und läßt mich allein,
verwunschen im Zauberwalde!«

Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

.

Wenn der Jasmin vor meinem Fenster blüht

wenn Stille herrscht, blutrot der Vollmond glüht

Wenn der Jasmin ...

Wenn der Jasmin ……

Wenn der Jasmin vor meinem Fenster blüht,
wenn Stille herrscht, blutrot der Vollmond glüht,
dann kommt die Sehnsucht mit der Mitternacht,
wo alles schläft – nur mein Verlangen wacht,
es bläst mit Feueratem zu mir her
und fordert Liebe! … Liebe? Noch viel mehr!
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Die Nacht vergeht mit müdem, schweren Schritt.
O nähm sie mich ins ewge Dunkel mit!
Der Morgen naht in fahlem Nebelgrau,
einsam, verzweifelt lieg ich arme Frau
und späh mit heißen Blicken rings umher
nach Liebe – doch mein Pfühl bleibt liebeleer.

 Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

Sommernacht

Sommernacht

Stemengleich, vom blassen Licht beleuchtet,
Weiße Lilien über Gräsern schweben,
Ihre Kelche schimmern taugefeuchtet.
Wie sie bleich der Erde Haupt umgeben,

Ein bewegtes, reichverstreutes Glänzen
Flimmert hoch in dunkler Lüfte Räumen,
Himmelsantlitz, unter Blütenkränzen
Scheinst auch du in sanfter Nacht zu träumen.

Maria Stona

Maria Stona, geborene Maria Scholz (1861 – 1944), Dichter, Schriftstellerin, Sallonieré. Pseudonyme: Maria Stonawski, Maria Stona

Morgengedanke

Mein ruhig Herz und dieser stille Friede,

Morgengedanke 1761

Der Morgen dreht sein heitres Angesichte
Uns lächelnd zu, und weckt mit sanftem Lichte
Die Creaturen an den Tag hervor!
Der Sperling schwazt, die muntern Hähne krähen
Den Lobgesang, und aller Augen sehen,
Zu Gott, der sie ernährt, empor.

Auch ich bin wach, und meinem ersten Blicke
Befehl ich, daß er Dank zum Himmel schicke
Für diese Ruh, für diese sanfte Nacht!
Es ist ein Gott, der diese Welt regieret,
Der aus dem Staub mich wunderbar geführet,
Und der mir Freud und Freunde macht!

Es ist ein Gott! er sah oft meine Zähren,
Und hörte Kinder Brod von mir begehren,
Wann lange schon die Mittags-Sonne schien.
Sie sind dahin, die Tage meiner Plagen,
Und daß nach Brod nicht meine Sorgen fragen;
Dies will mein Gott, dies ist durch ihn

Mein ruhig Herz und dieser stille Friede,Der um mich herrscht, der keinen Tag mich müde
Von Arbeit, oder von Verdrusse, sieht;
Das sanfte Feur, das durch die Adern dringet,
Und dis Gefühl, das in mir denkt, und singet,
Das dank ich dem, der mich durch Güte zieht.

Ich heische nicht aus seinen vollen Händen
Ein grösser Glück. Nicht Reichthum soll er senden,
Nicht eiteln Ruhm und was ins Auge fällt.
Mein Mittelstand, der Rock, der reinlich kleidet,
Ein gnugsam Brod, genossen unbeneidet,
Dies sey mein Theil und bleib es in der Welt.

Anna Luise Karsch.

Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Lieder

Mit wunderholdem süßen Klang

Lieder

Mit wunderholdem süßen Klang
Sagst du zu mir: "O meine Dichterliebe!"
Es ist dies Wort mir wie Gesang,
Wie frischer Ost verscheucht es meine Trübe.

Ich lechzte lang in meiner Nacht
Nach solcher Liebe, die ein Gott nur spendet,
Und gleich erhab'ner Göttermacht
Hast du den Fluch in Segen mir gewendet.

Ich liebe und ich bin geliebt -
Lenz, Leben, Lust sie kehren jubelnd wieder,
All jener Nebeldunst zerstiebt,
Und goldnen Strahls blickt Gottes Sonne nieder.

Mathilde Kaufmann

Mathilde Kaufmann, geborene Binder (1835 – 1907), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Amra George-Kaufmann

Lied

Und freude kam mit dem tag

Lied

Liebe legt ihr schlaflos gesicht
Auf dornige rosige schicht ·
Ihre augen von tränen waren rot ·
Ihre lippen waren bleich und tot.

Und angst mit hohn und gram
An ihr bett zu wachen kam ·
Bis die nacht überwältigt entfloh
Und die welt wieder morgen-froh.

Und freude kam mit dem tag
Und küsst' ihren mund der da lag ·
Und der wächter gespenstische schar
Vom kissen entwichen war.

Mit dem frührot ward hell ihr gesicht ·
Ihre lippen wurden rosig und licht.
Herrscht der gram auch durch eine nacht:
Am tag hat die lust wieder macht.


Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Der See

Und mystisch durch die Wellen strich

Der See

In meinen jungen Jahren trieb
Mich Sehnsucht oft an einen Ort,
Der mich gebannt hielt wie ein Hort.
So war die Einsamkeit mir lieb
Von einem See, um dessen Rand
Ein schwarzes Felsgemäuer stand.

Doch wenn die Nacht ihr Bahrtuch warf
Auf diese Stelle und auf mich,
Und mystisch durch die Wellen strich
Der Wind, bald klagend und bald scharf,
Dann – ja – erschreckte mich oft jäh
Die Einsamkeit am dunklen See.

Doch dieser Schrecken war nicht Grau'n;
Nein, eine Lust, die Schauer barg,
So zitternd und dämonisch stark,
Wie sie in unterirdischen Gau'n
Der spüren mag, der einen Schein
Erhascht von flimmerndem Gestein.

Tod war um jenen giftigen Strand –
Und in der Flut ein Grab für ihn,
Der dort für seine Phantasien
Besänftigende Tröstung fand
Und den sein Träumen wandeln hieß
Das finstre Reich zum Paradies.

Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poe (1809 – 1849) US-amerikanischer Schriftsteller, Dichter

Tag und Nacht

Und wieder klag die leise Stimme mir

Tag und Nacht

Es sprach der junge Tag in meinen Traum:

»Wach auf! Sieh! Meines Mantels goldner Saum
Ist über dunkle Dächer ausgegossen,
Und tausend Ströme sind geflossen
Und wurden Morgenlicht und heller Tag.
Nur Du noch ruhst im Traumeshag
Wo alle Wünsche wie lebendig scheinen
Und sich zu wechselbunten Spiele einen. –
Blick auf! Hörst Du aus fernen Dämmern
Den Rythmus der Arbeit mit ehernen Hämmern
Wach auf! – Aus allen Poren bricht das Weltgetriebe,
Kein Glied, das ohne Kraft und Schaffen bliebe
Und jedes schmiegt sich wieder sorgsam ein
In meiner Lande unbegrenzte Reihn
Und keiner ruht. – Nur Du allein!« –

Und tiefer kroch das Leuchten an der Wand.
Auf meinen Augen lag's, wie eine heiße Hand

Und schnell war Lid und Wimper offen
Von goldner Flut des frohen Lichts getroffen.

Und wieder klang die leise Stimme mir:

»Mit erlesenen Gaben komm ich zu Dir.
Mein Kleid ist weit. Doch seine tausend Falten
Vermöchten nicht der Gaben reiche Zahl enthalten,
Die meine Arme Dir entgegenbreiten.
Ich bringe Dir Ehre und Glück aus den Weiten
Ich habe Dir alle Wege geweitet,
Drauf purpurne Rosen und Blüten gebreitet,
Was Deine Gedanken nur betend erwähnt,
Was Deine Wünsche mir Thränen ersehnt,
Was kaum Du erhofft in schüchternem Denken,
Das will ich Dir heute, heute noch schenken.
Ich will Dir den ungeborenen Willen
In leuchtenden Farben zur Wahrheit erfüllen
Und für das Leid aus fernen, schweren Tagen
Werd' ich Dir wunderweiche Worte sagen,
Und Glück und Sorge, was Dich nur umflicht,
Dir wird es wesenlos und lebt nur im Gedicht. –
Ich mache Dir zaubergewaltig den Arm
Ich führe Dich weg von dem neidischen Schwarm,
Der jedes Streben sinnberauscht verlacht.
Ich nehm Dir alles, was Dich ihnen ähnlich macht.«

So sprach der Tag. Ich aber horchte fort
Und schlürfte gierig Wort für Wort.

»Doch geb' ich nicht die überreiche Spende
In schlummermüde, arbeitsträge Hände
Und werfe Dir nicht die Gaben dahin. –
Steh' auf und sieh sie im Leben erblühn!
Ich bin der Tag und bin dem Leben gleich
Erfüllung harrt für jeden Wunsch in meinem Reich,
Nicht wirst Du bittend meine Gunst erringen
Nein! Wie ein Weib mußt Du mich zwingen,
Das nicht für weiche Worte seine Gaben giebt
Und nur die Kraft, den starken Willen liebt,
Der sie mit seiner Wucht errungen.«

So sprach der Tag mit leisen, weisen Zungen
Und flammte heiß mit grellen, gelben Lichtern,
Und still ward da mein Herz und schüchtern
Bei dieser Worte wahrheitsschweren Klang
Allein der Tag fuhr fort und sang:

»Doch hat Dich das Schaffen dann müde gemacht,
Führ' ich Dich neu in die Arme der Nacht.
Durch des Abends blütenrote stille Weiten
Will ich Dich zum Traume heimgeleiten;
Diesem schenkst Du, was ich Dir errungen,
Glück und Glanz und echte, große Lieder
Und er giebt es tausendfach Dir wieder
Durch der Traumessänge seligsüße Weise.
Und so dreht sich Tag und Nacht im Kreise
Bist Du bei mir stark und stolz geworden,

Löst die Nacht mit ihres Lieds Accorden
Wieder Deine Einsamkeit und Eigensucht
Und des steten Wechsels reiche Frucht
Ist: Daß Du des Nachts die Seele sehnend weitest
Und des Tags zur That Dich froh bereitest.
Doch nun laß des Morgendämmerns bleiche
Traumesgärten! Auf! Zieh ein in meine Reiche.«

Und es wuchs in mir ein frohes, heißes Beben
Ich sprang auf, hinein ins volle Leben! 

Stefan Zweig

Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist

Um Mitternacht

Um kecker rauschen die Quellen hervor

Um Mitternacht


Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet's nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Eduard Friedrich Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: „Gedichte“ von Eduard Mörike. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1867. Seite 184