An die Liebste

Laß uns blühen, wie wir blühn

An die Liebste

Laß uns blühen, wie wir blühn,
Eh der Winter welker Haare
Dir die goldgemengten Haare
Wird mit Silber überziehn,
Eh mir dieser Mund erblasset,
Der dann haßt und wird gehasset.

Paul Flemming

Paul Flemming (1609 – 1640), deutscher Schriftsteller, Dichter, Arzt

Der Kuß

Der Kuß

Nirgends hin als auf den Mund
Da sinkt’s in des Herzens Grund
Nicht zu frei, nicht zu gezwungen
Nicht mit gar zu fauler Zungen

Nicht zu wenig, nicht zuviel
Beides wird sonst Kinderspiel
Nicht zu laut und nicht zu leise
Bei dem Maß ist rechte Weise

Nicht zu nahe, nicht zu weit
Dies macht Kummer, jenes Leid
Nicht zu trocken, nicht zu feuchte
Wie Adonis Venus reichte

Nicht zu harte und nicht zu weich
Bald zugleich, bald nicht zugleich
Nicht zu langsam, nicht zu schnelle
Nicht ohn Unterschied der Stelle

Halb gebissen, halb gehaucht
halb die Lippen eingetaucht
Nicht ohn Unterschied der Zeiten
Mehr allein als vor den Leuten

Küsse nun ein jedermann
Wie er weiß, will, soll und kann
Ich nur und mein Mädchen wissen
Wie wir uns recht sollen küssen

Paul Flemming

Paul Flemming (1609 – 1640), deutscher Schriftsteller, Dichter, Arzt

An Myrtil, wenn deine Lippen mich berühren

Mein Leben hangt in einer solchen Stunde

An Myrtil, wenn deine Lippen mich berühren

Myrtil, wenn deine Lippen mich berühren,
Dann will die Lust die Seele mir entführen;
Ich fühl' ein sanftes, namenloses Beben
Den Busen heben.

Mein Auge flammt, Gluth schwebt auf meinen
Wangen;
Es schlägt mein Herz ein unbekannt Verlangen;
Mein Geist, verirrt in trunkner Lippen Stammeln,
Kann kaum sich sammeln.

Mein Leben hangt in einer solchen Stunde
An deinem süßen, rosenweichen Munde,
Und will, bey deinem trauten Armumfassen,
Mich fast verlassen.

O! daß es doch nicht außer sich kann fliehen.
Die Seele ganz in deine Seele glühen!
Daß doch die Lippen, die voll Sehnsucht brennen,
Sich müssen trennen!

Daß doch im Kuß' mein Wesen nicht zerfließet,
Wenn es so fest an deinen Mund sich schließet,
Und an dein Herz, das nimmer laut darf wagen,
Für mich zu schlagen!

Caroline Louise von Klencke

Caroline Louise von Klencke (1754 – 1802), deutsche Dichterin, Schriftstellerin