Klein-Skunks, das Stinktier

Zur Urwaldschule früh um neun

Klein-Skunks, das Stinktier

Zur Urwaldschule früh um neun

Gehn Pantherchen und Löwchen,
Klein-Stinktier und Jung-Warzenschwein,
Das Äffchen und das Schäfchen.

Der Lehrer Nashorn spricht: «Klein-Skunks,
Was sagt mir meine Nase?!»

Klein-Skunks erwidert: «Allerdungs!

Ich stink, doch nur zum Spaße.

Mein Fellchen ist ganz unbedingt

So rein wie eine Lilie.

Mein Vati stinkt, mein’ Mutti stinkt —
Das liegt in der Familie.»

Der Lehrer Nashorn bläht voll Zorn
Die dicken Backentaschen:

«Zum Stinken ist man nicht gebor’n!
Und jetzt wirst du gewaschen!»

Schuldiener Waschbär kam heran

Mit Brummen und Gekeife,

Und fing Klein-Skunks zu waschen an
Mit Bürste und mit Seife.

Das kleine Stinktier zeterte:

«Die Seife beißt mein Äuglein!»
Hopps! sprang es auf und kletterte
Happs! auf ein Palmenzweiglein.

Seither treibt sich Klein-Skunks herum,
Ein ungeschliffner Flegel,

Und spielt im Urwald dreist und dumm
Mit Kokosnüssen Kegel.

Doch wenn es das Wort «Schule» hört,
Pflegt es sich zu entfernen.

Wo man das Stinken ihm verwehrt,
Dort will es auch nicht lernen.

Moral: Das kleine Stinktier kann sich nicht helfen —
aber Ihr, liebe Kinder, lasst euch doch hoffentlich
brav waschen, bevor ihr in die Schule geht?

Peter Hammerschlag

Peter Hermann Hammerschlag (1902 – 1942, KZ Ausschwitz), österreichischer Schriftsteller, Dichter, Graphiker, Kabarettist.

Das Lied vom armen Kind

Der taube Mann, das blind

Das Lied vom armen Kind

oder
Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Es war einmal ein armes Kind,
Das war auf beiden Augen blind,
Auf beiden Augen blind;
Da kam ein alter Mann daher,
Der hört auf keinem Ohre mehr,
Auf keinem Ohre mehr.
Sie zogen miteinander dann,
Das blinde Kind, der taube Mann,
Der arme, alte, taube Mann.

So zogen sie vor eine Tür,
Da kroch ein lahmes Weib herfür,
Ein lahmes Weib herfür.
Bei einem Automobilunglück
Ließ sie ihr linkes Bein zurück,
Das ganze Bein zurück.
Nun zogen weiter alle drei,
Das Kind, der Mann, das Weib dabei,
Das arme, lahme Weib dabei.

Ein Mägdlein zählte vierzig Jahr,
Derweil sie stets noch Jungfrau war,
Noch keusche Jungfrau war.
Um sie dafür zu strafen hart,
Schuf Gott ihr einen Knebelbart,
Ihr einen Knebelbart.
Sie flehte: Laßt mich mit euch gehn,
Ihr Lieben, laßt mich mit euch gehn,
So wird noch Heil an mir geschehn!

Am Wege lag ein räudiger Hund,
Der hatte keinen Zahn im Mund,
Nicht einen Zahn im Mund;
Fand er mal einen Knochen auch,
Er bracht' ihn nicht in seinen Bauch,
Ihn nicht in seinen Bauch.
Nun trabte hinter den anderen vier,
Wiewohl es am Verenden schier,
Das alte, räudige Hundetier.

Ein Dichter lebt' in tiefster Not,
Er starb den ewigen Hungertod,
Den ewigen Hungertod.
Mit Herzblut schrieb er sein Gedicht,
Man druckt es nicht, man liest es nicht,
Und niemand kennt es nicht.
Sein Leib war krank, sein Geist war wund,
Drum schloß er mit dem räudigen Hund
Der Freundschaft heiligen Seelenbund.

Und dann schrieb er zu Aller Glück
Ein wundervolles Theaterstück,
Ein wundervolles Stück,
In welchem die Personen sind
Der taube Mann, das blinde Kind,
Das arme, blinde Kind,
Das lahme Weib, die Jungfrau zart
Mit ihrem langen Knebelbart,
Die Jungfrau mit dem Knebelbart.

Und eh' die nächste Stund' entflohn,
Konnt' Jeder seine Rolle schon,
Die ganze Rolle schon.
Verständnisvoll führt die Regie
Das alte, räudige Hundevieh,
Das räudige Hundevieh.
Drauf ward das Schauspiel zensuriert
Und einstudiert und aufgeführt
Und ward ganz prachtvoll kritisiert.

Die Künstler fanden viel Applaus,
Man spannt dem Hund die Pferde aus
Und zieht ihn selbst nach Haus.
Da gab's nun auch Tantiémen viel
Und hohe Gagen für das Spiel,
Das ungemein gefiel. -
Nachdem sie ganz Europa sah,
Da reisten sie nach Amerika,
Nach Nord- und Südamerika.

Nun hört zum Schluß noch die Moral:
Gebrechen sind oft sehr fatal,
Sind manchmal eine Qual;
Frau Poesie schafft ohne Graus
Beneidenswertes Glück daraus,
Sie schafft das Glück daraus.
Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch,
Und sei's bei einer Jungfrau auch. -

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Moral

imaginären Größen sind Sollen und Wollen

Unter Moral verstehe ich das reelle Produkt zweier imaginärer Größen. Die imaginären Größen sind Sollen und Wollen. Das Produkt heißt Moral und läßt sich in seiner Realität nicht leugnen

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Durch Motive läßt sich Legalität erzwingen

diese setzt jeder Wille sich

Durch Motive läßt sich Legalität erzwingen, nicht Moralität: man kann das Handeln umgestalten, nicht aber das eigentliche Wollen, welchem allein moralischer Wert zusteht. Man kann nicht das Ziel verändern, dem der Wille zustrebt, sondern nur den Weg, den er dahin einschlägt. Belehrung kann die Wahl der Mittel änern, nicht aber die der letzten allgemeinen Zwecke: diese setzt jeder Wille sich, seiner ursprünglichen Natur gemäß.

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), deutscher Philosoph, Hochschullehrer, Schriftsteller

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)

die ganze Moral

Genießen und genießen lassen

Jouis et fais jouir, sans faire de mal ni à toi, ni à personne, voilà je crois, toute la morale.

Genießen und genießen lassen, ohne sich selbst oder anderen zu schaden, das ist, glaube ich, die ganze Moral.

Nicolas Chamfort

Sébastien Roch Nicolas de Chamfort (1741 – 1794), französischer Dramatiker, Mitglied der Académie Française