An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum
An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum wuchsen all die Silber- und Goldnetze, die roten, blauen und grünen Papierketten, all die vergoldeten Nüsse und zierlichen Sächelchen, an denen fleißige Kinderhände sich wochenlang gemüht. Auf der langen Tafel lagen für jedes die Gaben ausgebreitet, nützliche Sachen, zum Wärmen, aber auch ein Spielzeug fürs Herz.
Else Ury
Johanna Else Ury (1877 – 1943, KZ Ausschwitz-Birkenau), deutsche Schriftstellerin, Kinder- und Jugendbuchautorin
Foto: Else Ury (1877 – 1943)
aus: „Nesthäckchen im weißen Haar“, Erzählung für junge Mädchen. Von Else Ury. Illustriert von Professor R. Sedlacek. Verlag: Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H., Berlin, 1918. Kapitel 6.
Im roten Laubwerk voll Guitaren ..
Im roten Laubwerk voll Guitarren
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldner Karren.
In brauner Schatten Ruh verstummen
Die Alten, die sich blöd umschlingen.
Die Waisen süß zur Vesper singen.
In gelben Dünsten Fliegen summen.
Am Bache waschen noch die Frauen.
Die aufgehängten Linnen wallen.
Die Kleine, die mir lang gefallen,
Kommt wieder durch das Abendgrauen.
Vom lauen Himmel Spatzen stürzen
In grüne Löcher voll Verwesung.
Dem Hungrigen täuscht vor Genesung
Ein Duft von Brot und herben Würzen.
Georg Trakl
Georg Trakl (1887 – 1914), österreichischer Dichter, Schriftsteller.
aus: „Gedichte“ von Georg Trakel. Verlag: Kuert Wolff Verlag, Leipzig, 1913. Seite 10
Zwei Lose
Ein plumper Kasten ward getragen
durchs Marktgewühl voll Achtsamkeit.
"Zerbrechlich! Eine Harfe!" warnte
auf ihm die Aufschrift, sichtbar weit.
Ein zartes Mädchen trat zur Seite,
die Augen überflort von Pein.
"Ein Herz! Zerbrechlich!" schien geschrieben
in diesem Jammerblick zu sein . . .
Beschädigt wurde nicht die Harfe
in ihrer starken Bretter Hut.
Sie klingt, wie immer sie geklungen,
und klingt im lebensfrohen Mut.
Doch in des zarten Leibes Hülle
hat nicht gerettet sich das Herz:
gebrochen ward's im Marktgewühle -
nun klagt es nimmer seinen Schmerz!
Isabella Arkadjewna Grinewskaja
Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.
aus: „Russische Dichtungen. Ausgewählte Dichtungen“ Übertragen und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler. Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig, 1907. Seite 41
Frieden und Freiheit. Schießt mit Blumen und Liebe.
Das Ringlein sprang entzwei
Es geht ein Liedchen im Volke,
Die Mädchen singen's zur Nacht,
Wenn unter den flüsternden Halmen
Im Felde die Sehnsucht erwacht.
Das Lied vom zerbrochenen Ringlein
Und von der Mühle im Grund,
Die Wasser wogten und rauschten,
Dem Burschen war gar so wund.
Ich sang's so oft mit den Andern,
Nun schleich' ich mich leise vorbei
Und berge das Haupt in den Händen:
"Das Ringlein sprang entzwei."
Anna Ritter
Anna Ritter, geborene Nuhn (1865-1921), deutsche Schriftstellerin, Dichterin
aus: „Gedichte“ von Anna Ritter. Verlag von Liebeskind, Leipzig, 1898. Das Ringlein sprang entzwei. Seite 58
Mariechen
Ich schaute ganz wie Du als Kindlein aus,
Nur etwas bleicher waren meine Wangen
Und wurden roth wie Deine, wenn im Haus
Wir polternd über Tisch und Stühle sprangen.
Die Augen waren auch so blau und rein,
Die Locken fielen d'rauf wie gold'ne Fädchen,
Doch liebte Niemand mich, als ich noch klein -
So innig wie ich Dich, Du kleines Mädchen!
Ada Christen
Christiana von Breden, geborene Friederik (1839 – 1901), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Bekannt auch als Ada Carla, Christine von Neupauer, Satanella
aus: „Aus der Asche“. Neue Gedichte von Ada Christen. Verlag: Hamburg, Hoffmann & Campe, 1870. Sternenlos. Seite 38
Mädchenlied
Auf einem jungen Rosenblatt
Mein Liebster mir geblasen hat
Wohl eine Melodie.
Es gab mir viele Dinge kund,
Das Rosenblatt am rotem Mund.
Und war kein Wort dabei
Und als das Blatt zerblasen war.
Da gab ich meinen Mund ihm dar
Und küsst an ihm mich satt.
Und viel mehr Dinge tat noch kund
Der rote Mund am roten Mund.
Selbst als das Rosenblatt.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder. Seite 18
Das Mädchen
Mutter, Mutter! meine Puppe
Hab' ich in den Schlaf gewiegt,
Gute Mutter, komm und siehe,
Wie so englisch sie da liegt.
Vater wies mich ab und sagte:
Geh', du bist ein dummes Kind!
Du nur, Mutter, kannst begreifen,
Welche meine Freuden sind.
Wie du mit den kleinen Kindern,
Will ich Alles mit ihr thun,
Und sie soll in ihrer Wiege
Neben meinem Bette ruh'n.
Schläft sie, werd' ich von ihr träumen,
Schreit sie auf, erwach' ich gleich, –
Meine himmlisch gute Mutter,
O wie bin ich doch so reich!
Adelbert von Chamisso (1830)
Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher
aus: „Gedichte“ von Adelbert von Chamisso.2. Auflage. Verlag: Weidmann’sche Buchhandlung, 1834, Lebens-Lieder und Bilder (1831), Gedicht 2, Seite 32
An drei schöne Mädchen
Aus euch, ihr Grazien, aus euch
Soll ich die Liebste mir erwählen?
Ihr seht einander ja so gleich:
Die Schönste kann ich nicht verfehlen!
Allein, ihr Grazien, aus euch
Möcht' ich die Zärtlichste mir wählen,
Und ach, die Zärtlichste von euch,
Die könnt' ich nur zu leicht verfehlen!
J. W. L. Gleim
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer
aus: „Johann Wilhelm Ludwig Gleim – “ von Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Herausgegeben durch Wilhelm Körte (1776 – 1846). Zweites Band. Verlag: im Büreau für Literatur und Kunst, Halberstadt, 1811. Lieder, Seite 17
Das Harfenmädchen
Das war noch im Vaterstädtchen;
Du warst gar zierlich und jung,
Ein süß schwarzäugiges Dirnlein,
Zur Liebe verständig genung.
Und wenn dir die Mutter zu singen
Und Harfe zu spielen gebot,
So scheutest du dich vor den Leuten
Und klagtest mir heimlich die Not.
"Wann treff ich dich wieder und wo doch?" -
"Am Schlosse, wenn's dunkel ist."
Und abends bin ich gekommen
Und habe dich fröhlich geküßt.
Sind sieben Jahre vergangen,
Daß ich dich nicht gesehn;
Wie bleich sind doch deine Wangen,
Und waren so blühend und schön!
Wie greifst du so keck in die Saiten
Und schaust und äugelst umher!
Das sind die kindlich scheuen,
Die leuchtenden Augen nicht mehr.
Doch kann ich den Blick nicht wenden,
Du einst so reizende Maid;
Mir ist, als schaut ich hinüber
Tief, tief in vergangene Zeit.
Theodor Storm
Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist
aus: „Gedichte“ von Theodor Storm. Verlag der Gebrüder Paetel, Berlin, 1889.Zweites Buch, weitere Gedichte, Seite 242 – 243
The town between the hills
The further the little girl leaped and ran,
The further she longed to be;
The white, white fields of jonquil flowers
Danced up as high as her knee
And flashed and sparkled before her eyes
Until she could hardly see.
So into the wood went she.
It was quiet in the wood,
It was solemn and grave;
A sound like a wave
Sighed in the tree-tops
And then sighed no more.
But she was brave,
And the sky showed through
A bird's-egg blue,
And she saw
A tiny path that was running away
Over the hills to—who can say?
She ran, too.
But then the path broke,
Then the path ended
And wouldn't be mended.
A little old man
Sat on the edge,
Hugging the hedge.
He had a fire
And two eggs in a pan
And a paper poke
Of pepper and salt;
So she came to a halt
To watch and admire:
Cunning and nimble was he!
"May I help, if I can, little old man?"
"Bravo!" he said,
"You may dine with me.
I've two old eggs
From two white hens
and a loaf from a kind ladie:
Some fresh nutmegs,
Some cutlet ends
In pink and white paper frills:
And—I've—got
A little hot-pot
From the town between the hills."
He nodded his head
And made her a sign
To sit under the spray
Of a trailing vine.
But when the little girl joined her hands
And said the grace she had learned to say,
The little old man gave two dreadful squeals
And she just saw the flash of his smoking heels
As he tumbled, tumbled,
With his two old eggs
From two white hens,
His loaf from a kind ladie,
The fresh nutmegs,
The cutlet-ends
In the pink and white paper frills.
And away rumbled
The little hot-pot,
So much too hot,
From the ton between the hills.
Katheen Mansfield