An die Verse

Ihr habt durch Wildnis mich geleitet

An die Verse

Ihr habt durch Wildnis mich geleitet
Wie Sterne, fallend in die Nacht,
Wart Lüge, habt mir Schmerz bereitet −
Zum Trösten fehlte euch die Macht.

Anna Achmatowa

Anna Andrejewna Achmatowa, geborene Gorenko (1889 – 1966), russische Dichterin, Schriftstellerin

Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.

original auf russisch:

K´sticham

Вы так вели по бездорожью,
Как в мрак падучая звезда.
Вы были горечью и ложью,
А утешеньем - никогда.

Ein Hochzeitslied

Ein Hochzeitslied

1.
"Ein Täubchen seltnen Werths,
Von hoher Lieblichkeit!
Ach, warum wendet sie
Von mir sich ab so weit?
In meinem Herzen wär'
Für sie ein Zelt bereit."

2.
"Sie fing mein armes Herz
Durch ihres Zaubers Macht,
Sie blendet mir das Aug'
Durch ihrer Farben Pracht,
Nicht Gold begehr' ich, nur
Daß süß ihr Mund mir lacht.

3.
Die Wangen Rosen gleich,
D'ran pflücken meine Augen,
Die Lippen glühend heiß,
Möcht' doch an ihnen saugen,
Der Locken schwarze Schatten
Mit Morgenlicht sich gatten."

4.
So sprach mein Freund, noch nicht
Von Frauenhuld beglückt;
Sei Freundin ihm, er sei
Durch Deine Huld erquickt,
Daß nicht die Einsamkeit
Ihn ferner niederdrückt.

5.
Nun wohl, die Zeit ist da,
Von Liebeswonn' erfüllt,
Bald werdet ihr geeint,
Das Sehnen euch gestillt.
Ach, naht' auch meinem Volk
Erlösungszeit so mild!


Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

Schön-Ellen

Der junge Kaiser reitet

Schön-Ellen.

Der junge Kaiser reitet
vorbei an Schön-Ellens Haus,
Schön-Ellen lehnet im Erker
und schaut aus dem Fenster hinaus.

Der junge Kaiser ist traurig,
er grüßt nach Schön-Ellens Tür;
Schön-Ellen tritt aus der Pforte
licht wie der Morgen herfür.

Der blonde junge Kaiser
tritt zur Kemenate herein –
doch langsam geht er von dannen
bei des Tages frührotem Schein ...

Dann reckt er sich in den Schultern,
in Lust ist sein Trauern verkehrt,
es summt ihm ein Lied auf den Lippen,
und singend steigt er zu Pferd:

»O du weiße Pracht in dunkler Nacht!
O du stolze, du siegende Kaisermacht!«

Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

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Der Frühling

Als das Herz mit ihm bekannter Weisen

Der Frühling
(an die Frau von Wrech)

Freundin dessen, der die Welt regieret,
Der an diamantnen Ketten führet
Jene Sonnen über unserm Haupt!
Sieh'! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen
Mit dem Schmuck, den ihm der Herbst geraubt.

Siehe! wie beflügelt er gekommen
Und die Trauer der Natur benommen.
Wie er sie schon jugendlich geschmückt,
Mädchen, die den Lenz im Antlitz haben,
Männer, Jünglinge und kleine Knaben
Und der Greiß, der sich am Stabe bückt;

Alles geht, gereizt von den Gerüchen
Junger Veilchen, die so niedrig kriechen
Und doch edler, als die Tulpen sind!
Und der Hyacinthen ofne Glocken
Duften Balsam, den um seine Locken
Dir entgegen trägt der Frühlingswind.

Blat und Frucht, die in der Knospe lagen
Dringen sich des Schöpfers Lob zu sagen,
Aus der Hülle nun mit Macht hervor.
Wenn die stummen Redner prächtig blühen,
Steigt, in regellosen Symphonien
Aus den Zweigen ein Gesang empor!

Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied
Unter ihr, in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommnem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht!

Lämmer, die noch an den Müttern saugen,
Blöken dem zum Lobe, dessen Augen
Das Insekt im Staube kriechen sehn.Ihn muß so der Wurm im Grase preisen,
Als das Herz mit ihm bekannter Weisen,
Als die Räder, die den Weltbau drehn.

O du Tochter seiner Lieb und Güte,
Der in jedem Lenz die junge Blüthe,
Und die grüne Saat sein Lob beschreibt.
Höher, als der Dichtgeist in dem Fluge
Preisest du mit jedem Athemzuge
Einen Gott, der deine Freude bleibt!

Alles singt ihm. – Seine Nachtigallen
Oft behorchend, will ich Lieder lallen
Voll vom Lobe dessen, der mich schuf;
Bienen, die auf Lindenwipfeln summen,
Und des Fleisses Lehrer, jene Stummen
Im Erdhaufen, werden mir ein Ruf!

Anna Luise Karsch

Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Bei einer Shakespere-Vorstellung

So klar so wahr wie es empfangen ist

Bei einer Shakespere-Vorstellung

Dein zug von clownen bauern königen freuen,
Mein Shakespere geht jetzt wohl in reicher tracht -
Paläste hütten .. eine schauspielnacht -
Der donner rollt und böse blitzt hauen ..
Doch was in schöner einfalt du gedacht
Wissen die spieler kläglich nachzubauen.
Gefühl liegt ihnen in geschrei und brauen
Und wildheit geht vor dem was du liebst: Macht.

Erlös uns >Shakespere< von den groben lügen
Sinn-schönen das nicht einmal Schönes ist!
Lass unserm geist sich dein Gedachtes fügen
So klar so wahr wie es empfangen ist
Bis unsere geistesaugen sich vergnügen
Am bild das Dein und aller eigen ist!

Albert Verwey

Albert Verwey (1837 – 1898), Niederländischer Dichter, Übersetzer, Essayist

Ode an die Freiheitskämpfer

Erwachet! Erwachet! Erwachet!

Ode an die Freiheitskämpfer

Auf! auf! auf!
Blut dampft von der Erde, die Brot euch versagt.
Um die Todten, die sanken zuhauf,
Sei aus strömenden Wunden ein Grablied geklagt.
Keine andere Trauer sei ihnen gebracht!
Sohn, Bruder und Gattin sind niedergemacht;
Wer sagt, daß sie fielen in ehrlicher Schlacht?

Erwacht! erwacht! erwacht!
Seit je befeinden Tyrann sich und Knecht.
Werft nieder die Ketten mit Macht
In den Staub, daß den Tod ihr der Brüder rächt!
Im Grabe wird regen sich ihr Gebein,
Wenn die Stimmen der Lieben im blutigen Schein
Des heiligen Kampfes um Rache schrein.

Hoch laßt das Banner wehn,
Wenn die Freiheit ladet zu Sieg und Tod,
Ob als Sklaven auch um sie stehn
Hunger und Elend und seufzende Noth.
Und ihr, die geschaart um ihr herrlich Gefährt,
Zückt nicht zuerst das mordende Schwert,
Doch die Mutter zu schützen, seidmannlichbewehrt!

Heil, Heil, Heil
Denen, die litten und Großes vollbracht!
Keinem wurde zu Theil
Größerer Ruhm, als der euch umlacht.
Den Feind nur haben Erobrer bekriegt,
Dessen Stolz nun gebändigt zu Boden liegt: –
Ihr habt, siegreicher, euch selbst besiegt.

Kränzt, kränzt eure Stirn
Mit Veilchen, Epheu und Tannengrün;
Bedeckt das blutige Hirn
Mit Farben, wie göttlich im Lenz sie glühn:
Grüne Kraft, blaue Hoffnung und Ewigkeit,
Doch Vergißmeinnichtblümchen verbannet weit,
Bewahrt das Gedenken an euer Leid!

Percy Bysshe Shelley

Percy Bysshe Shelley (1792 – 1822), britischer Schriftsteller, Dichter

Die Macht der Worte

daß der Schuster zu seinem Leisten gehört

Insofern der Satz die logische Beziehung ausdrückt, ist er natürlich immer richtig; in allem aber, was über diese hinausgeht, braucht er nicht immer etwas Wahres auszudrücken. So kann man etwa gegen den Satz, daß der Schuster zu seinem Leisten gehört, sehr begründete Einwendungen machen.

Paul Ernst

Carl Friedrich Paul Ernst (1866 – 1933), deutscher Schriftsteller, Novellist, Essayist, Journalist

Das Geheimnis jeder Macht

daß andere noch feiger sind

Das Geheimnis jeder Macht besteht darin: zu wissen, daß Andere noch feiger sind, als wir.

Ludwig Börne

Ludwig Börne (1786 – 1827), deutscher Journalist, Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller und Publizist