Unter Myrtenzweigen Beim Rieseln der Quelle Und der Nachtigall Lied, Auf sanftem Rasen Durchwirkt mit Blumen, Im duftenden Hain, Gebogen die Äste Von goldener Frucht Und silberner Blüte, Wo ewig blau der Himmel, Ewig lau die Lüfte Dich umwehen – Das Mädchen im leichten Gewand Tanzet den bunten Reihen, Bricht die labende Frucht, Schöpfet vom Quell. Am Felsen ein Hüttchen Mit weniger Habe, Dort ruht es die Glieder Auf reinlichem Lager. Du blickst dein Verlangen Ihr tief in das Herz, Sie hat dich verstanden, Und teilet die Glut. Nichts wehrt dir die Küsse Auf Lippen und Wangen; Lilien und Rosen, Blüten und Knospen, Alles ist dein. Leicht wie der Westwind, Scherzend wie er, Berührst du die Blumen, Und fliehest vorüber, Schonend der zarten. Wer fürchtet da Neid? Wen lockt der Ruhm? Zürnet die Mutter? Das Lächeln kann sie Doch nicht verbergen; Denn eigne süße Schuld Ruft die Tochter Zurück ihr ins Herz.
Dorothea Schlegel
Dorothea Friederike Schlegel (1764 – 1839), deutsche Schriftstellerin, Literaturkritikerin
aus: „Florentin“, ein Roman von Dorothea Schlegel. Herausgegeben von Friedrich Schlegel. Verlag: Lübeck und Leipzig, den Friedrich Bohn, 1801. Zweites Kapitel , Seite: 37 – 40