Wer andere besiegen will

muß sich selbst besiegen

Wer andere besiegen will, muß sich selbst besiegen;
wer andere richten will, muß sich selbst richten; wer andere kennen will, muß sich erst selbst kennen. In den Liedern heißt es: Er faßte den Zügel wie ein Gewebe.

Lü Bei We  呂不韋 / 吕不韦

Lü Buwe (300 – 236 v. Chr.), chinesischer Philosoph, Politker, Kaufmann

Lebensfreude

Ketten der Lust und der Rosen

Lebensfreude

Ketten der Lust und der Rosen
Und der grossen Taten
Lass uns ums Leben schlingen
Arm sind die Einen geboren
Und sterben arm: Im — Golde.
Und die andern erwachen
In eine satte Pfründe und verbringen
In ferner Todesfurcht ihre planlosen Tage,
Priester sprechen gegen Lohn ihre Klage
Über das Leben und seine Furchtbarkeit
Doch wir lachen!

— Wir, vom heissen Blut Der Götter und der SonnenWir wollen Ketten der Lust
Und der Rosen und grossen Taten
Ums Leben schlingen
Und alle Bronnen müssen getrunken sein !
— Alles muss Glutversunken sein !
Und kommt der Unerbittliche mit aller Pein,
Dann wird die Welt von uns
Schon leer gehoben sein. —
Denn Ewigkeit ist uns in jedem Augenblick:

— Weihe, weihe ihn und mach ihn gross ! —
Äonen sind dann Dein und ruhn
In einem Kuss — in einem Frauenschoss — !
In einer Tat, von Dir getan, erdacht,
In einem Lächeln, das dem Zagen
Den Traum der Güte in ein Grau gebracht.
Spät werden
Der fernsten Jahrhunderte Gebete
Nach uns zurückhallen
Und unsere Gräber sollen lichte Kränze überwehn
Dankes-Lieder werden unsern Staub umstammeln
Und dunkle Krähenpsalmodien überschallen . . .
Denn könnte einmal noch
Sich alles ins Gewesne sammeln
Wir würden selber lächelnd unter ihnen stehn.


Elsa Asenijeff

Elsa Maria Packeny (1867-1941), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Frühlingsgedanke

Vögel singen, neues Leben,

Frühlingsgedanken

Vögel singen, neues Leben,
Frisches Grün an Blatt und Baum:
Für die Vögel neue Lieder,
Für das Herz ein neuer Traum!

Doch das Leben wird veralten,
Hin zur Erde welkt das Grün;
Blumen senken ihre Häupter:
Wirst, mein Traum, auch du verblüh’n?

Ferdinande Brackel

Ferdinande Maria Theresia Freiin von Brackel (1835-1905), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: E. Rudorf


Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862)

An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren

An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren,
Ich sah' an ihnen Doris nicht!
Ich sah' in ihrer Pracht Auroren,
In ihrer Schönheit sah' ich Floren,
Sah Luna's sanftes Silberlicht,
Doch meine Doris sah' ich nicht;
Zwei schöne Tage sind verloren!

Ach hätt' ich doch die Tage wieder,
Wie schöner noch mit ihr, mit ihr!
Mit ihr säng' ich Autoren Lieder,
Die Grazien und ihre Brüder,
Die Liebesgötter alle hier,
Umarmen sie und dienten ihr!
Ach, hätt ich doch die Tage wieder!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Abendlied

Weil unsre Augen sie nicht sehn

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen
Die goldenen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmerung hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen ? -
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sacehn,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgesinnste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sehn!

Wollt endlich sonder Grämen
Uns dieser Welt uns nehmen 
Durch einen Sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, Ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbarn auch!

Matthias Claudius

Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus

Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?

Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh?

Suse, liebe Suse, was rasselt im Stroh ?
Die Gänse gehen barfuß,
Und haben kein‘ Schuh !
Der Schuster hat’s Leder,
Kein Leisten dazu,
Drum kann er den Gänslein
Auch machen kein Schuh.

Suse, liebe Suse, schlags Kikelchen tot,
Legt mir keine Eier,
Und frißt mir mein Brot,
Rupfen wir ihm dann
Die Federchen aus,
Machen dem Kindlein
Ein Bettlein daraus.

Eia popia schlag´s Gockerle tot
legt mir keine Eier
und frisst mir mein Brot
rupfen wir ihm dann die Federchen aus
und machen dem Kindlein ein Bettlein daraus

Eia popeia, das ist eine Not,
Wer schenkt mir ein Heller,
Zu Zucker und Brot ?
Verkauf ich mein Bettlein,
Und leg mich aufs Stroh,
Sticht mich keine Feder,
Und beißt mich kein Floh.

unbekannt

Suse: Lilie, Kurzform von Susanne. Aber auch wiegen in den Schlaf.

Ei popeia, was raschelt im Stroh?

drum kann er den Gänschen

Ei popeia, was raschelt im Stroh?

Eia popeia,

was raschelt im Stroh
die Gänschen gehn barfuß
und haben kein´ Schuh
der Schuster hat´s Leder
kein´n Leisten dazu
drum kann er den Gänschen
auch machen kein´Schuh

Eia popia schlag´s Gockerle tot
legt mir keine Eier
und frisst mir mein Brot
rupfen wir ihm dann die Federchen aus
und machen dem Kindlein ein Bettlein daraus

Eia Popeia das ist eine Not
wer schenkt mir ein´n Heller
zu Zucker und Brot
Verkauf ich mein Bettlein
und leg mich aufs Stroh
sticht mich keine Feder
und beisst mich kein Floh.

unbekannt

Liebe Sonne, scheine wieder

Trockne ab auf allen Wegen

Liebe Sonne, scheine wieder

Liebe Sonne, scheine wieder;
Schein‘ die düstern Wolken nieder!
Komm mit deinem goldnen Strahlen
Wieder über Berg und Tal!.

Trockne ab auf allen Wegen
Überall den alten Regen!
Liebe Sonne, laß dich sehn,
Daß wir können spielen gehn!

Hoffman von Fallerleben

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874), deutscher Dichter, Hochschullehrer, Herausgeber

Lebenstraum

Lebenstraum

Ich saß an einer Tempelhalle
Am Musenhain, umrauscht vom nahen Wasserfalle,
Im sanften Abendschein.
Kein Lüftchen wehte; und die Sonn’ im Scheiden
Vergüldete die matten Trauerweiden.

Still sinnend saß ich lange, lange da,
Das Haupt gestützt auf meine Rechte.
Ich dachte Zukunft und Vergangenheit, und sah
Auf einem Berg, dem Thron der Götter nah,
Den Aufenthalt vom heiligen Geschlechte,
Der Sänger alt’ und neuer Zeit,
An deren Liede sich die Nachwelt noch erfreut.
Tot, unbemerkt, und längst vergessen schliefen
Fern in des Tales dunkeln Tiefen
Die Götzen ihrer Zeit,
Im Riesenschatten der Vergänglichkeit.

Und langsam schwebend kam aus jenem dunkeln Tale,
Entstiegen einem morschen Heldenmahle,
Jetzt eine düstere Gestalt daher,
Und bot (in dem sie ungefähr vorüberzog)
In einer mohnbekränzten Schale
Aus Lethes Quelle mir Vergessenheit!

Betroffen, wollt ich die Erscheinung fragen:
Was dieser Trank mir nützen soll?
Doch schon war sie entflohn: ich sah’s mit stillem Groll,
Denn meinen Wünschen konnt’ ich nicht entsagen.

Da kam in frohem Tanz, mit zephyrleichtem Schritt,
Ein kleiner Genius gesprungen
Und winkt und rief mir zu: Komm mit,
Entreisse dich den bangen Dämmerungen
Sie trüben selbst der Wahrheit Sonnenschein!
Komm mit! Ich führe dich in jenen Lorbeerhain,
Wohin kein Ungeweihter je gedrungen.
Ein unverwelklich schöner Dichterkranz
Blüht dort für Dich im heitern Frühlingsglanz
Mit einem Myrtenzweig umschlungen.
Er sprach’s, und ging mir schnell voran.
Ich folgte, voll Vertrauen, dem holden Jungen,
Beglückt in meinem süßen Wahn.

Es herrschte jetzt die feierlichste Stille
Im ganzen Hain. Das langersehnte Ziel,
Hellschimmernd sah ich’s schon in ferner Schattenhülle
Und stand, verloren ganz im Lustgefühl.
“Nimm” (sprach er jetzt) “es ist Apollons Wille.
Nimm hin dies goldne Saitenspiel!
Es hat die Kraft in schwermutsvollen Stunden
Durch seinen Zauberton zu heilen all’ die Wunden,
Die Mißgesschick und fremder Wahn dir schlug.”
Mit zärtlich rührenden Akkorden,
Tönt es vom Süd bis zum Norden,
Und übereilt der Zeiten schnellen Flug
Sei stolz, sei stolz auf dein Besitz! Und denke:
“Von Allem, was die Götter sterblichen verleihen,
Ist dies das höchste der Geschenke!”
Und Du wirst es nicht entweihen.

Noch nicht vertraut mit ihrer ganzen Macht,
Sang ich zuerst nur kleine Lieder;
Und Echo hallte laut und fröhlich wieder.

Gabriele von Baumberg

Text: Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Vertonung: Franz Schubert (1797 – 1828), österreichischer Komponist