Das Blatt der Frühlingsweide

Nicht deshalb lieb ich jene junge Frau

Das Blatt der Frühlingsweide

Nicht deshalb lieb ich jene junge Frau,
Die träumerisch an ihrem Fenster lehnt,
Weil sie den ragenden Palast besitzt
Am Gelben Flusse, - nein, ich liebe sie,
Weil sie dies kleine Blatt der Frühlingsweide
Ins Wasser gleiten ließ . . .

Nicht deshalb liebe ich den Ostwind, weil
Er mir den holden Duft der Birnbaumblüten
Herüberträgt von blumig weißen Höhen, -
Nein, weil er mir das Blatt der Frühlingsweide
An meinen Kahn trieb, - darum lieb ich ihn!

Nicht deshalb lieb ich dieses kleine Blatt
Der Frühlingsweide, weil es mir die Wonnen
Des Lenzes bringt, - nein, weil die junge Frau
Mit einer feinen Nadel meinen Namen
Hineingeritzt hat, - darum lieb ich es!

Chang Chiu-Ling

Chang Chiu-Ling (673 – 740), chinesischer Dichter, Politiker. Auch Zhang Jiuling; Chang Tiou-Lin; Dschang Giu Ling; Tchan-Tiou-Lind

Das Gedicht ‚Das Blatt der Frühlingsweide‘ von Chang Chiu-Ling wurde vertont.

Der Frühlingstag

Wenn über mir das reine Blau der Luft

Der Frühlingstag
(Sophiens Schattengewidmet)

Wenn über mir das reine Blau der Luft
Und rings um mich der Blüthenbäume Duft
Den Frühlingstag in mein Gedächtniss ruft,
Der unsre Herzen liebend einst verband,
Als ich zuerst Dein Innerstes verstand –
Dann blick’ ich, wie in meines Glücks Ruinen,
Hin auf Dein Grab, um das Cipressen grünen.

Und dann berührt das Bild vergangner Stunden
Auf’s neu in mir der ew’gen Trennung Wunden.
Dich zu verlieren hatt’ ich Dich gefunden! –
Und Thränen fliessen jenem Frühlingstag
Und Dir, die Du ihm lächelnd glichest, nach.
Doch ach, so heiss, so bitter sie auch rinnen –
Sie können nicht der Gruft Dich abgewinnen.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Eins und zwei

Warum, o Mutter, o Natur

Eins und zwei

Warum, o Mutter, o Natur,
Gabst Deinem Sohn, dem Menschn nur
Ein Herz Du, um in süßen Trieben
Geliebt zu werden und zu lieben,
Und einen Mund nur, um zu küssen,
Und Wonn' und Seligkeit zu saugen;
Jedoch zum Weinen, ach! - zwei Augen? - 

Anastasius Grün

Count Anton Alexander von Auersperg (1806 – 1876), österreichischer Dichter, Schriftsteller, Politiker. Pseudonym: Anastasius Grün.

Liebt das Buch

die Quelle des Wissens

Liebt das Buch – die Quelle des Wissens, nur das Wissen ist rettend, es kann uns allein zu geistig starken, ehrlichen, vernünftigen Menschen machen, die fähig sind, den Menschen aufrichtig zu lieben, seine Arbeit zu ehren, und sich herzlich an den herrlichen Früchten seiner unablässigen, großen Arbeit zu erfreuen.

Maxim Gorki

Alexei Maximowitsch Peschkow (1868 – 1936), russischer Schriftsteller

Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.

Bild: Maxim Gorki (1868 – 1936)

Dem Gesandten der hohen Pforte, Asmi Achmet Effendi

In Stambul, in Berlin, am schwarzen Meer, am Belt

Dem Gesandten der hohen Pforte,
Asmi Achmet Effendi,
zum Andenken gewidmet*

In Stambul, in Berlin, am schwarzen Meer, am Belt,
Scheint Eine Sonne nur am hohen Firmament,
Und herrscht Ein Schöpfer nur. Ob ihr ihn Allah nennt,
Wir Gott; ob ihr für göttlich jene Schrift erkennt,

Wir diese, gilt ihm gleich, wenn jeder die nur hält,

Die er uns selbst ins Herz geschrieben:
Die Menschen alle brüderlich zu lieben.

Susanne von Bandemer

Susanne von Bandemer, geborene Susanne von Frencklin (1751-1828), deutsche Schriftstellerin, Dichterin

* Der erste noch unverbesserte Entwurf dieses Gedichtes, ward von einem meiner verehrungswürdigsten Freunde ins Türkische übersetzt, und von mir so getreu nachgeschrieben, daß es der Herr Gesandte in seiner eigenen Sprache lesen konnte. Ich füge hier die türkische Übersetzung, die buchstäblich getreu ist, bey, nebst meinem ersten Entwurfe.

„In Stambul, und am Spreegestade
Scheint Eine Sonne nur am hohen Firmament,
Und herrscht Ein Schöpfer nur. Ob ihr ihn Allah nennt,
Wir Gott, gilt gleich. Der Weise kömmt auf gleichem Pfade

Vor seinen Thron. Er hält, was ihm ins Herz geschrieben.

Die Menschen alle brüderlich zu lieben.“

Der Schmetterling

Dies Wunder der Natur entging

Der Schmetterling
auf einem Vergißmeinnichtchen

Ein Blümchen, das sich zwar nicht mehr
Für unsre Lage schickt,
Hab' ich doch, Freund, von Ungefähr
Für dich jüngst abgepflückt.

Denn wiss', als ich es pflückte, hing
Ein Schmetterling daran.
Ich sah, dass auch ein Schmetterling
Dies Blümchen lieben kann.

Dies Wunder der Natur entging
Dann meinem Blicke nicht:
Drum schick' ich dir den Schmetterling
Und das Vergißmeinnicht.

Gabriele Baumberg

Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Liebe

Was ist die seligste Wonne auf Erde?

Liebe

Was ist die seligste Wonne auf Erde?
Zu lieben und wieder geliebt zu werden.
Was läßt das Herz sich gar tief betrüben?
Zu lieben und nimmer geliebt zu sein;
Doch das ist die größte, die schwerste Pein:
Geliebt zu werden und nicht zu lieben.

Minna Kleeberg

Minna Kleeberg , geborene Cohen, (1841 – 1878), deutsch-amerikanische Dichterin

Das treue Herz

Ein treues Herz bleibt stark in Muth und Hoffen

Das treue Herz

Ein treues Herz bleibt stark in Muth und Hoffen,
Wird gleich vom Sturm der Freuden Saat getroffen,
Sein Glaube hebt es siegend himmelwärts!
Drum wünsch' ich mir, wenn Leiden mich umstürmen,
Wenn Wolken sich um meinen Himmel thürmen,
Ein treues Herz!

Ein treues Herz beharrt im festen Lieben,
Wenn And're auch durch Undank es betrüben,
Und lächelt mild noch in dem tiefsten Schmerz.
O könnt' ich mir solch Kleinod doch bewahren!
Erquickung beut uns noch in späten Jahren
Ein treues Herz!

Ein treues Herz wird, wenn es Spötter kränken,
Sich nimmer doch von seinem Heile lenken,
Und fest stehn, bei der Frevler frechem Scherz.
O möcht' es doch der Vater mir gewähren!
Als Demant-Krone trägt der Prüfung Zähren
Ein treues Herz!

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Ich und Du

Wir träumten voneinander

Ich und Du

Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in Eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.


Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker