Wir können nur geben, was wir empfangen haben

es war einmal ein Mann

Geschichte des arabischen Sprichworts:
Wir können nur geben, was wir empfangen haben

Es war ein Mann, der wollte
Von seinem Weibe Knaben;
Zu seinem Ärger sollte
Er lauter Mädchen haben.

als sie das erste brachte,
Ertrug er's noch geduldig;
Als sie's nicht besser machte,
Zeigt' er sich schon ungeduldig.

Und als sie's tat zum dritten,
Wollt' er nicht länger leiden,
Was er so lang gelitten,
Und drohte, sich zu scheiden.

Da sprach sie: Für mein Leben
Gäb' ich dir gerne Knaben;
Wir können doch nur geben,
Was wir empfangen haben.

Friedrich Rückert

Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung

Schöpfersliebe

Bald wirst du den Blumenbecher füllen

Schöpfersliebe.
Liebe! du Allmächtige! du Eine!
Die du unsichtbar im Weltall glimmest!
Du giebst Leben!

Jetzt, daß nicht sich die Natur ermüde,
Zogst du jede Kraft in dich zurücke
Von den Fluren.

Bald wirst du den Blumenbecher füllen,
Ihn zur Lust auf Erden auszugießen
Mit dem Frühling.

Denn es nimmt uns nimmer deine Linke,
Was nicht tausendfach die Rechte wieder
Uns erstattet.

Du bist's, die den Staub zum Staube träget,
Die im Samen das Verlangen wecket,
Frucht zu werden!

Du bist's, die uns Trost verspricht bey Sternen,
Uns ins Grab zur süßen Ruhe bettet,
Du, o Liebe!

Und Du solltest, die du ewig wirkest,
Mächtig und allgegenwärtig thronest,
Uns verlassen?

Uns, die Du uns lehrtest, dich empfinden,
Aus der Kette deiner Hände reißen,
Und vernichten?

Caroline Louise von Klencke

Caroline Louise von Klencke (1754 – 1802), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Sie ist mir fern, wie soll ich Freude finden!

Ich kann den Kummer nur mein Leben weihn

Sie ist mir fern, wie soll ich Freude finden!

Sie ist mir fern, wie soll ich Freude finden!
Ich kann dem Kummer nur mein Leben weihn.
Wie um den Baum sich üppig Ranken winden,
Die Nahrung raubend seiner Krone dräun,
So, fern von dir, mich Sorg und Unmut binden,
Daß keine Erdenlust mich kann erfreun.
Fragt nicht, warum mein Sinn so rastlos eilt;
Für mich ist nirgends Ruh, als wo sie weilt

Dorothea Schlegel

Dorothea Friederike Schlegel (1764 – 1839), deutsche Schriftstellerin, Literaturkritikerin

Wiegenlied

Magst du aus dem Schlummernachen

Wiegenlied

Frei noch von des Lebens Schmerzen,
Unter Kinderspiel und Scherzen,
An dem treuen Mutterherzen
Schläfst du ruhig ein.
Und nun liegst du in der WIege,
Und ich wehre jeder Fliege;
Ach, wie heiter deine Züge
Und wie engelrein!

Magst du aus dem Schlummernachen,
Spät nach fröhlichem Erwachen,
Deiner Welt entgegen lachen!
Liebchen, rühr' dich nicht!
Mögen nie des Lebens Qualen,
Nur der Freude helle Strahlen
Sich in deinen Augen malen,
Süß, wie Morgenlicht.

Noch war deine Welt nicht trübe; -
Daß sie ewig klar dir biebe! -
Noch ist deiner Mutter Liebe
All' dein Paradies.

Noch wird in der Brust Bewegen
Sich sein finst'res Traumbild regen.
Schlumm're sanft und süß.

Carl Theodor Körner

Carl Theodor Körner (1791-1813) deutscher Freiheitskämpfer, Schriftsteller, Burgtheaterdichter in Wien, Verfasser patriotischer Lieder

Beide

Der hat nie das Glück empfunden

Beide

Der hat nie das Glück empfunden,
Dem des Lebens gleiche Stunden
Ewig in der Freude Weh´n
Ohne Schmerz vorübergeh´n.

Aber wem nach langen Qualen
Mit der Liebe Frühlingsstrahlen
Grüßend winkt der Freude Blick:
Der allein versteht das Glück. 

Carl Theodor Körner 

Carl Theodor Körner (1791-1813) deutscher Freiheitskämpfer, Schriftsteller, Burgtheaterdichter in Wien, Verfasser patriotischer Lieder

Meine Lust ist Leben

Gute Nacht, ihr Freunde, ach, wie lebt ich gern!
Dass die Welt so schön ist, dankt' ich dem Herrn.
Dass die Welt so schön ist, tut mir bitter weh,
wenn ich schlafen geh!

Ach, wie möcht' ich einmal noch von Bergeshöhn
meine süße Heimat sonnbeleuchtet sehn!
Und den Herrn umarmen in des Himmels Näh',
eh' ich schlafen geh.

Wie man abends Kinder ernst zu Bette ruft,
führt der Herr mich schweigend in die dunkle Gruft.
Meine Lust ist Leben, doch sein Will' gescheh',
dass ich jetzt schlafen geh'.

Peter Rosegger

Peter Rosegger (1843 – 1918), Pseudonym P. K., Petri Kettenfeier, österreichischer Volksschriftsteller und Erzähler, Autodidakt, begann als Wanderschneider

Ich freue jeden Tag

Ich freue mich durch des Jahres

Ich freue mich jeden Tag

Ich freue mich jeden Tag dem Abend mich entgegen,
Und jede Nacht im Traum mich auf den Morgensegen.

Ich freue still mich mit unungestürmter Lust,
Nicht ungeduldig ist die Freud' in meiner Brust.

Ich freu' mich auf die Stund' und auf den Augenblick,
Auf groß und kleines, mein und anderer Geschick.

Vom Herbst den Winter durch freu' ich dem Lenz mich zu,
Und aus dem Sommer durch den Herbst zur Winterruh.

Ich freu' mich durch des Jahres und durch des Lebens Zeit,
Und aus der Zeit hinaus mich in die Ewigkeit.

Friedrich Rückert

Menschenglück

müssen wir mehr des Lebens

Wollen wir Menschenglück verbreiten, dann müssen wir mehr des Lebens Erscheinungen als dessen Regel besprechen.

Ludwig Börne

Ludwig Börne (1786 – 1827), deutscher Journalist, Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller und Publizist

aus: „Ankündigung der Zeitschwingen“. Verfasser: Ludwig Börne. 1819

Ballade des äußeren Lebens

Und immer weht der Wind

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
und alle Menschen gehen ihre Wege.

Und süße Früchte werden aus den herben
und fallen nachts wie tote Vögel nieder
und liegen wenig Tage und verderben.

Und immer weht der Wind, und immer wieder
vernehmen wir und reden viele Worte
und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.

Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
und drohende, und totenhaft verdorrte...

Wozu sind diese aufgebaut? Und gleichen
einander nie? Und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

Was frommt das alles uns und diese Spiele,
die wir doch groß und ewig einsam sind
und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
wie schwerer Honig aus den hohlen Waben

Hugo von Hofmannsthal

Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal (1874 – 1929) österreichischer Schriftsteller, Dichter, Librettist, Essayist, Erzähler, Dramatiker