Wenn du nicht geschickt genug bist, einen Mann, der aus dem Fenster springt, in der Zeit zu skizzieren, die er braucht, um aus dem vierten Stock auf den Boden zu fallen, wirst du nie in der Lage sein, große Werke zu schaffen.
Eugène Delacroix
Ferdinand Victor Eugène Delacroix (1798 – 1863), französischer Maler
Jede gute Komposition ist vor allem ein Werk der Abstraktion. Alle guten Maler wissen das. Aber der Maler kann nicht ganz auf Themen verzichten, ohne dass sein Werk verarmt.
Diego Rivera
Diego María de la Concepción Juan Nepomuceno Estanislao de la Rivera y Barrientos Acosta y Rodríguez (1886 1957), mexikanischer Maler
Der Frühling
(an die Frau von Wrech)
Freundin dessen, der die Welt regieret,
Der an diamantnen Ketten führet
Jene Sonnen über unserm Haupt!
Sieh'! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen
Mit dem Schmuck, den ihm der Herbst geraubt.
Siehe! wie beflügelt er gekommen
Und die Trauer der Natur benommen.
Wie er sie schon jugendlich geschmückt,
Mädchen, die den Lenz im Antlitz haben,
Männer, Jünglinge und kleine Knaben
Und der Greiß, der sich am Stabe bückt;
Alles geht, gereizt von den Gerüchen
Junger Veilchen, die so niedrig kriechen
Und doch edler, als die Tulpen sind!
Und der Hyacinthen ofne Glocken
Duften Balsam, den um seine Locken
Dir entgegen trägt der Frühlingswind.
Blat und Frucht, die in der Knospe lagen
Dringen sich des Schöpfers Lob zu sagen,
Aus der Hülle nun mit Macht hervor.
Wenn die stummen Redner prächtig blühen,
Steigt, in regellosen Symphonien
Aus den Zweigen ein Gesang empor!
Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied
Unter ihr, in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommnem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht!
Lämmer, die noch an den Müttern saugen,
Blöken dem zum Lobe, dessen Augen
Das Insekt im Staube kriechen sehn.Ihn muß so der Wurm im Grase preisen,
Als das Herz mit ihm bekannter Weisen,
Als die Räder, die den Weltbau drehn.
O du Tochter seiner Lieb und Güte,
Der in jedem Lenz die junge Blüthe,
Und die grüne Saat sein Lob beschreibt.
Höher, als der Dichtgeist in dem Fluge
Preisest du mit jedem Athemzuge
Einen Gott, der deine Freude bleibt!
Alles singt ihm. – Seine Nachtigallen
Oft behorchend, will ich Lieder lallen
Voll vom Lobe dessen, der mich schuf;
Bienen, die auf Lindenwipfeln summen,
Und des Fleisses Lehrer, jene Stummen
Im Erdhaufen, werden mir ein Ruf!
Anna Luise Karsch
Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Auserlesene Gedichte“ von Anna Luise Karsch. Verlag: Berlin, Winter, 1764. Erstes Buch. Oden. Seite 33 – 35
Moderne Oden I
Nicht sank in Schwachheit unserer Sprache Kunst,
seitdem verhallt ist früher Heroen Schritt –
wir wandeln weiter ihre Bahnen
tönenden Fußes – und schauen lichtwärts.
Wir meistern, stolz nicht minder wie jene, noch
das Wort, und kunstreich meißelt die sichre Hand
aus deutscher Sprache reinstem Marmor
nimmer-vergänglicher Formen Schönheit.
Denn für der Menschheit heilige Güter schlägt
auch uns das Herz. Die fröhliche Flammenglut,
die ewig zu den Sternen deutet,
loht auch in uns von dem Grund der Seelen.
Wie Göttern einst der lockigen Hebe Hand
geschenkt den Nektar ewigen Jugendmuts,
so wollen wir in alten Schalen
reichen den schäumenden Wein der Zeiten.
Otto Erich Hartleben
Otto Erich Hartleben (1864 – 1905), deutscher Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Dramatiker
aus: „Ausgewählte Werke“ von Otto Erich Hartleben. Verlag: Berlin, S. Fischer, 1911. Moderne Oden I, Seite 10
Man findet in Deutschland eine große Anzahl von Gemäldegalerien und Sammlungen von Zeichnungen, die bei allen Ständen Liebe zur Kunft vermuten lassen.
Germaine de Staël
Anne Louise Germaine de Staël – Madame de Staël (1766 – 1817), französische Schriftstellerin, Salonnière
„De l’Allemagne“ par Madame de Stael. Paris, 1878
aus: “ Ueber Deutschland“ von Germaine de Staël. Mit Einleitung und Anmerkungen deutsch von Robert Habs. Erster Band. Leipzig, Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. II. Seite 64
Dichtkunst
Durch Himmelsplan die roten Wolken ziehen,
Beglänzet von der Sonne Abendstrahlen,
Jetzt sieht man sie in hellem Feuer glühen,
Und wie sie sich in seltsam Bildnis mahlen:
So oftmals Helden, große Thaten blühen,
Aufsteigend aus der Zeiten goldnen Schaalen,
Doch wie sie noch die Welt am schönsten schmücken,
Fliehn sie wie Wolken und ein schnell Entzücken.
Was dieser fliehnde Schimmer will bedeuten,
Die Bildnis, die sich durch einander jagen,
Die Glanzgestalten, die so furchtbar schreiten,
Kann nur der Dichter offenbarend sagen;
Es wechseln die Gestalten wie die Zeiten,
Sind sie euch Rätsel, müßt ihr ihn nur fragen,
Ewig bleibt stehn in seinem Lied gedichtet,
Was die Natur schafft und im Rausch vernichtet.
Es wohnt in ihr nur dieser ewge Wille
Zu wechseln mit Gebären und Erzeugen,
Vom Chaos zieht sie ab die dunkle Hülle,
Die Tön' erweckt sie aus dem todten Schweigen,
Ein Lebensquell regt sich die alte Stille,
In der Gebilde auf und nieder steigen,
Nur Phantasie schaut in das ewge Weben,
Wie aus dem Tod' erblüht verjüngtes Leben
Ludwig Tieck
Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Herausgeber
aus: „Gedichte“ von Ludwig Tieck. Erster Theil. Neue, unveränderte Ausgabe. Verlag: Dreseden, Grimmer’scher Buchhandlung, 1834. Seite 74