Mariannen Schönheit

Weg mit Venus mit Helenen

XIII.
Mariannen Schönheit

Weg mit Venus/ mit Helenen
Und mit Tausend andern Schönen/
Die so groß beruffen seyn/
Und wovon so viel zu lesen.
Was sie alle sind gewesen/
Das ist Mariann/ allein.

2.
Weg Apelles/ weg Thimantes/
Ihr beraubt euch des Verstandes
Uber dieser grossen Zier.
Venus die ist leicht zu mahlen/
Mariannen blitz- und strahlen
Mahlet uns kein Pinsel für.

3.
Weg jhr müsset schleunig wandern/
So jhr nicht mit den Salmandern
Und mit mir zur Flammen taugt.
Flieht vor Mariannen blitzen/
Sie wird den durchaus erhitzen
Den sie nur einmahl beaugt.

4.
Weg/ verbleibt/ ein Mensch kan irren/
Liebe kan den Kopff verwirren.
Weil sie mir so hoch beliebt/
Lieb ich sie vor andern allen/
Sie mag dem wol mißgefallen
Der sein Hertz auff andre giebt.

5.
Und das ist all mein Verlangen
So werd' ich allein umbfangen/
Wann sie niemand liebt als ich.
Aber ach so schöne Gaben/
Sollen die nicht Freyer haben?
Freylich mehr als eben mich.

6.
Sa! So ich nicht mehr erlange/
Wann ich nur so viel empfange/
Das des danckens würdig ist.
Er hat grosse Gnad' empfangen/
Der die Lippen oder Wangen
Einer solchen Göttin küsst.

Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon

Küssen will ich, ich will küssen

Gibst du einen Kuss mir nur

Freund, noch einen Kuss mir gib,
Einen Kuss von deinem Munde,
Ach! ich habe dich so lieb!
Freund, noch einen Kuss mir gib.
Werden möcht ich sonst zum Dieb,
Wärst du karg in dieser Stunde;
Freund, noch einen Kuss mir gib,
Einen Kuss von deinem Munde.

Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?
Nimmer ward es noch zu viel,
Küssen ist ein süßes Spiel.
Küsse, sonder Zahl und Ziel,
Geben, nehmen, wiedergeben,
Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?

Gibst du einen Kuss mir nur,
Tausend geb ich dir für einen.
Ach wie schnelle läuft die Uhr,
Gibst du einen Kuss mir nur.
Ich verlange keinen Schwur,
Wenn es treu die Lippen meinen,
Gibst du einen Kuss mir nur,
Tausend geb ich dir für einen.

Flüchtig, eilig wie der Wind,
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.
Stunden, wo wir selig sind,
Flüchtig, eilig wie der Wind!
Scheiden schon, ach so geschwind!
Oh, wie werd ich weinen müssen!
Flüchtig, eilig wie der Wind,
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

Muss es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuss zum Scheiden!
Scheiden, meiden, welche Pein!
Muss es denn geschieden sein?
Lebe wohl, und denke mein,
Mein in Freuden und in Leiden,
Muss es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuss zum Scheiden!

Adelbert von Chamisso (1829)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher