An ihn

O schlafe nicht, erwach‘, erwache

An ihn

2.
O schlafe nicht, erwach', erwache,
Daß mich Dein Anblick glücklich mache!
Du träumst vielleicht, man küsse Dich?
Erwach', den Traum dann deute ich.


Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

An ihn

Ich wiegt‘ ihn einst auf meinen Knieen,

1.
An ihn

Ich wiegt' ihn einst auf meinen Knieen,
Er sah sein Bild in meinen Augen;
Er küßte mich mit Liebesglühen, -
Der Schelm! er wollt' sein Bild einfangen.


Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

Eins und zwei

Warum, o Mutter, o Natur

Eins und zwei

Warum, o Mutter, o Natur,
Gabst Deinem Sohn, dem Menschn nur
Ein Herz Du, um in süßen Trieben
Geliebt zu werden und zu lieben,
Und einen Mund nur, um zu küssen,
Und Wonn' und Seligkeit zu saugen;
Jedoch zum Weinen, ach! - zwei Augen? - 

Anastasius Grün

Count Anton Alexander von Auersperg (1806 – 1876), österreichischer Dichter, Schriftsteller, Politiker. Pseudonym: Anastasius Grün.

Gasel

Gasel


Auf deiner Lippe sprosst der erste Flaum,
In deinem Herzen keimt der erste Traum,
So stehst du scheu und keusch und heilig da,
Ein holder Knabe noch, ein Jüngling kaum.
Der Himmel blaut in deinem tiefen Blick
Und eine Kirche deines Herzens Raum.
Du hebst entzückt des Lebens Taumelkelch
Und schlürfst mit Andacht nur den weißen Schaum,
Du schaust mir selig nicht ins Angesicht,
Du küssest leise meines Kleides Saum.

Maria Holm

Maria Auguste Minna von Hedenström (1845 – 1912), deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Lehrerin

Roter Mohn

Der Wald steht grün. Die Wiese ist mit Blüten

Roter Mohn

Der Wald steht grün. Die Wiese ist mit Blüten
so reich besät wie dort das Aehrenfeld
mit rotem Mohn – dem vollen, lichtdurchglühten.

Es strotzt im Frühlingsschmuck die ganze Welt;
rings um mich her ein üppig Blühen, Prangen,
voll von Begehrlichkeit und Lichtverlangen.

Hoch steht das Gras, geneigt vom Windesfächeln.
Ganz still-verträumt seh ich den Halmen zu,
um meine Lippen spielt ein mattes Lächeln.

Der Wind küßt meine Stirn – warum nicht Du? ..
O du, o du, daß jetzt in dieser Stunde
dein Arm mich nicht umschlungen hält im Mohn,
daß heiße Küsse nicht von deinem Munde
auf meinen sehnsuchtsoffnen Lippen lohn! ...

Else Galen-Gube

Elisabeth Galen-Gube, geborene Galen(1869-1922), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: Else Galen-Gube

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Frühlingsgedanken I.

Fort trieb mich’s an den Busen der Natur

Frühlingsgedanken

I.
 Fort trieb mich's an den Busen der Natur
Aus meiner Zelle, d'rin ich lang verschlossen,
Und staunend sah mein Auge Wald und Flur
Von Sonnenstrahlen goldig übergossen.

Es sprach das Licht: O sag! was trauerst du?
Kann meine Macht dein Dunkel nicht versüßen?
Und liebvoll säuselte die Luft mir zu:
Ich will die Thräne dir vom Auge küssen!

Der rasche Strom sang mir ein brausend Lied:
Des Lebens Hast magst du in meiner sehen!
Und als die Sonne fern von hinnen schied,
Sprach tröstend sie von Sterben und Vergehen!  -

Betty  Paoli

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Mädchenlied

Auf einem jungen Rosenblatt

Mädchenlied

Auf einem jungen Rosenblatt
Mein Liebster mir geblasen hat
Wohl eine Melodie.
Es gab mir viele Dinge kund,
Das Rosenblatt am rotem Mund.
Und war kein Wort dabei

Und als das Blatt zerblasen war.
Da gab ich meinen Mund ihm dar
Und küsst an ihm mich satt.
Und viel mehr Dinge tat noch kund
Der rote Mund am roten Mund.
Selbst als das Rosenblatt.

Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.

Die Veilchen

So wie ihr blüht, ihr treuen Veilchen

Die Veilchen 

So wie ihr blüht, ihr treuen Veilchen,
Süß duftend, still, ein kurzes Weilchen,
War das, was mir sein Lieben gab;
Bald ward von einer Anderen Küssen
Der Ungetreue mir entrissen;
Bald blühet, Veilchen, um mein Grab!

Sophie Albrecht

Johanna Sophie Dorothea Albrecht (1757 – 1840), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Schauspielerin

O fronte serena

O Sonne,der Wonne

Auff die Italiänische Weise: O fronte serena

O liebliche Wangen,
Ihr macht mir Verlangen,
diß Rote, diß Weiße
zu schauen mit Fleiße.

Und diß nur alleine
ists nicht, das ich meine:
Zu schauen, zu grüßen,
zu rühren, zu küssen,
Ihr macht mir Verlangen,
O liebliche Wangen.

O Sonne der Wonne!
O Wonne der Sonne!
O Augen, sie saugen
das Licht meiner Augen.
O englische Sinnen,
O himmlisch Beginnen,
O Himmel auf Erden
magst du mir nicht werden.
O Wonne der Sonne,
O Sonne der Wonne.

O Schönste der Schönen,
benimm mir diß sehnen.
Komm, eile, komm, komme,
du Süße, du Fromme.
Ach, Schwester, ich sterbe,
Ich sterb', ich verderbe.
Komm, komme, komm, eile,
komm, tröste, komm, heile.
Benimm mir diß sehnen,
O Schönste der Schönen!

Paul Flemming

Paul Flemming (1609 – 1640), deutscher Schriftsteller, Dichter, Arzt

Abschied

Was säumest du, o Seele, zu zerspringen

Abschied

Was säumest du, o Seele, zu zerspringen,
Vor Angst, vor Qual, die dich und mich umringen
Und bist noch du, mein Herze, nicht entzwei,
Tu's doch, tu's bald, und mach' uns beide frei!

O dass ich doch den Tag erleben müssen.
Der mir verbeut, das schöne Kind zu küssen!
Der mir versagt, das liebe Bild zu sehn.
Ach mir! was mehr? es ist um mich geschehn!

Anstatt dass ich nicht eine Viertelstunde
Vor konnte sein von ihrem süßen Munde,
Da muss ich nun sein ewig ohne Sie.
Wo, ach, wo ist sie nun, die Werte, die?

Sagt's sicher nach, ihr stummen Wasserscharen,
Wie herzlich oft wir beide bei euch warm;
Bringt's kühnlich aus, ihr Lüfte! was ihr wisst,
Wie vielmal wir uns haben geküsst.

Du blasser Mund, was ist's nunmehr gewesen,
Dass du so oft von ihrem bist genesen?
Wo ist dein Geist, ihr süßer Atem hin,
Von dessen Kraft ich noch verzaubert bin?

Ich ruf' euch an, o Sonn', o, Mond, o Sternen,
Und was uns sonst das Glück winkt von fernen.
Ich ruf euch an, seid Zeugen über mir.
Was ich für Angst hier leide wegen ihr!

Ade, du Platz den Göttern selbst begehret,
Der du sie mir so vielmal hast gewähret,
Sei tausendmal, sei tausend tausendmal
Gegrüßt! du bleibst in Lust, ich leb' in Quant!

Ihr Bäch', ihr Büsch', ihr Gärten und Gefilder,
Und was ihr hegt; ihr schönen Lenzesbilber,
Du Sommerlust, du Herbst, du Winterzier!
Zu guter Nacht; Ich scheid'; Ihr bleibt bei Ihr!

Paul Flemming

Paul Flemming (1609 – 1640), deutscher Schriftsteller, Dichter, Arzt