Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid

Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid ·
Goss nicht tau · entfaltete keine feder ·
Schloss die lippen fest und metallnen auges
Stand er und sah mich.

Mir dem wach daliegenden kam ein traumbild
Ohne schlummer über das meer · mich rührend ·
Rührte sanft mir lippe und lid und ich dann ·
Voll von dem traumbild 

Sah wie weiss unsöhnbar die Aphrodite
Losen haares ohne sandal am fusse
Schien mit glut von westlichen meeressonnen ·
Sah den gesträubten

Fuss · die straffen federn des taubenzuges ·
Schauend immer · schauend den hals gewendet
Rück nach Lesbos · rück zum gebirg worunter
Schien Mitylene 

Hörte hinter ihr der eroten fliehe
Auf den wassern plötzliche donner machend
Wie der donner fährt von den stark entspannten
Schwingen des sturmwinds.

So verliess die göttin ihr heim mit furchtbarm
Schall von tritt und donner von schwingen um sie ·
Während rückwärts singender fraun gelärme
Drangen durchs zwielicht.

O des sangs · der seligkeit · o der gierde!
Die eroten lauschten in tränen · angst-siech
Standen die neun musen gekrönt um Phöbus ·
Furcht lag auf ihnen 

Da die zehnte sang: ihnen fremde wunder.
O die zehnte Lesbische! alle schwiegen ·
Keine trug den schall dieses lieds vor weinen ·
Lorbeer auf lorbeer

Dorrten alle kränze · doch ihr ums haupt her
Rings um ihre flechten und aschnen schläfe
Weiss wie grabschnee · bleicher als gras im sommer ·
Küsse-verwüstet 

Schien ein licht von feuer als ewge krone ·
Ja fast die unsöhnbare Aphrodite
Hielt und weinte fast · so ein sang war der sang.Ja auch bei namen

Rief sie: zu mir wende dich · meine Sappho!
Doch sie · abgewandt den eroten · sah nicht
Tränen statt gelächter der göttin auge
Trüben · vernahm nicht

Schreckhaft stosshaft schwingen der taubenflügel·
Sah nicht · dass der busen der Aphrodite
Weinend bebte · sah nicht ihr bebend kleid · ihr
Ringen der hände 

Sah die Lesbier über zerschlagne lauten
Küssend · lippen süsser als lautenstränge ·
Mund auf mund und hand zwischen hand dertrauten ·
Schöner als männer

Sah allein die lippen und schönen finger ·
Voll von sang und küssen und kleinem wispern ·
Voll von tönen · schaute nur unter ihnen
Steigen wie vögel

Neulings flück · den sichtbaren sang · ein wunder
Von vollkommenem ton und liebesunmass ·
Süss geformt und furchtbar voll donners trug er
Schwingen des windes.

Dann entzückt und lachend vor liebe streut sie
Rosen · hehre rosen von heiliger blüte ·
Die eroten hüllten sich trüb und drängten
Um Aphrodite 

Und die musen schwiegen · ins herz getroffen ·
Götter wurden bleich · so ein sang war der sang ·
Alle sträubend · alle mit frischem schauder
Flüchteten vor ihr ...

Alle flohn seit längst und das land ward öde ·
Voll von brachen frauen und tönen einzig.
Jezt vielleicht · wenn winde sich abends legen ·
Lullend beim taufall

Kehrt zum grauen seestrand die unerlöste
Ungeliebte im dämmerlicht ungesehne
Schar zurück der klagend verworfnen fraun die
Lethe nicht reinigt

Rings umhüllt von tränen und glut und singend ·
Und das herz des himmels erschüttert pochend
Und das herz der erde vor mitleid brechend ·
Hört sie zu hören.

Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Philosophie der Liebe

Quelle eint sich mit dem Strome

Philosophie der Liebe

Quelle eint sich mit dem Strome,
Daß der Strom ins Meer vertauche;
Wind und Wind am blauen Dome
Mischen sich mit sanftem Hauche.
Nichts auf weiter Welt ist einsam,
Jedes folgt und weiht sich hier
Einem Andern allgemeinsam -
Warum denn nicht wir?

Sieh den Berg gen Himmel streben,
Well' in Welle sieh zerfließen;
Keiner Blume wird vergeben,
Wollte sie den Kelch verschließen.
Und der Himmel küßt die Erd',
Und das Mondenlicht den Fluß -
Was sind all' die Küsse werth,
Weigerst du den Kuß? 

Percy Bysshe Shelley

Percy Bysshe Shelley (1792 – 1822), britischer Schriftsteller, Dichter

Francisa

Denn gleich wie die Knospe der Blume

 Francisca

Francisca, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als Erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang' ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.

Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh' ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.

O glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Die Harmonie der Liebe

Das mir tief im Herzen wogte

Die Harmonie der Liebe

Einst, vom Schlummer überwältigt,
Lag ich auf der weichen Matte,
Und im Traume nahte Phöbos,
In der Hand die Leier haltend.
Golden wiegten sich die Locken
Auf der hohen Götterstirne,
Und den Feuerblick des Auges
Seiner Sonne zugewendet,
Griff er mutig in die Saiten.
Da umrauschten Harmonien
Himmlisch meine trunknen Sinne,
Und das Lied des Götterjünglings
Strömte feurig durch die Glieder.
Plötzlich aber schwang der Sänger
Auf sich von der stolzen Erde,
Und den goldnen Sternen näher
Schwand das hohe Lied des Gottes,
Immer leiser, immer leiser,
Bis das Element des Einklangs
Sich in süßes Wehn verwandelt. -
Da erwacht' ich, und Apollo's
Liebe noch begierig lauschend,
Griff ich hastig nach der Leier.
Um den Nachhall meines Herzens
Auszuatmen in der Saiten
Süß berauschendem Getöne.
Doch ich suchte nur vergebens
Nach der Harmonie des Gottes,
Und der Saiten stimmte keine
Mit dem himmlisch reinen Liebe,
Das mir tief im Herzen wogte,
Finster starrt' ich in die Lüfte,
Und verwünschte meine Leier. -
Plötzlich aber weckten Küsse
Mich aus meinen düstern Träumen:
Leis' war Chloris hergeschlichen
Und verscheuchte schnell den Unmut
Durch das süße Spiel der Liebe. -
Ach, und jetzt in ihren Armen,
Ihr am liebewarmen Busen,
Strömte mir ein neues Leben,
Neue Kraft durch alle Glieder,
Und der Liebe süßster Einklang
Wogte mir im trunknen Herzen, 
Schöner, heiliger und reiner, 
Als das Lied des Götterjünglings

Carl Theodor Körner

Carl Theodor Körner (1791-1813) deutscher Freiheitskämpfer, Schriftsteller, Burgtheaterdichter in Wien, Verfasser patriotischer Lieder