An den Bach

Was rauschst du vor mir dahin,

An den Bach

Was rauschst du vor mir dahin,
Du kühle, klare Fluth,
Von dieser Silberpappeln Grün
Beschirmt vor Sonnengluth?
Du eilst in jenes stille Thal,
Wo die drey Erlen stehn -
Ach dorthin, wo zum letzten Mahl
Ich Wilhelm jünst gesehn!

Es war ein schöner Frühlingstag,
So schön wird keiner mehr;
Im reinsten goldnen Licht lag
Die Gegend um uns her.
Die Sonne sank, ihr letzter Schein
hüllt' in ein Veilchenblau
Des Berges bewachten Gipfel ein,
Und schimmert' an der Au.

Da standen wir, du lieber Bach,
An deinem grünen Bord,
Und sahn dem Spiel der Wellen nach,
Und wagten nicht ein Wort.
Der Schmerz der nahen Trennung goß
MIr Schauer druch das Blut,
Und manch entschlürpftes Thränchen floß
Still in die kalte Fluth.

Da both er eine Rose mir,
Die er vom Strauche brach,
Ach, unbeschreiblich ist, was hier
Sein blaues Auge sprach!
Nun ist er fort, die Rosenzeit
Ich bin, die Blüthe leer -
Doch jenen Blick voll Zärtlichkeit
Vergess' ich nimmermehr!


Caroline Pichler

Caroline Pichler, geborene Greiner (1769 – 1843), österreichische Schriftstellerin, Lyrikerin, Salonniére, Kritikerin

Nachtlied

Müde sank der Tag in den Arm der Nacht

Nachtlied

Müde sank der Tag
in den Arm der Nacht.
Sterne kommen zag
gnadenreich bewacht.

In den Bäumen ruhn
Vögel stumm und tief.
Sinnlos scheint das Tun.
Nur ein Käuzchen rief.

Mondbestrahlt und weiß
Schläft ein Engelskind.
Rosen duften heiß
in den kühlen Wind.

Laß auch uns erblühn,
innig sein und weit.
Nach des Tages Mühn
fühlen – Ewigkeit.

Francisca Stoecklin

Francisca Stoecklin (1894-1931), Schweizer Schriftstellerin, Dichterin, Malerin, Erzählerin