Es war ein Traum

Der erste Traum des Herzens

Es war ein Traum

Es war ein Traum -
Und ach, wie war er sonnig,
Wie freudenvoll und wie bezaubernd schön,
Wie eines Frühlings erster Morgen:
Doch ach, zu reizend auch, um zu besteh'n.

Es war ein Traum
So duftig wie die Rose,
Die eben erst der Knospe sich entwand,
So spiegelnd lockend wie der Regenbogen, -
Doch rasch, wie jener, der entschwand.

Es war ein Traum,
Der erste Traum des Herzens -
Es war des jungen Herzens erster Mai;
Es war das Glück, das sich ihm schimmernd zeigte:
Und wie die Seifenblase sprang's entzwei.

Es war ein Traum! -
Hart war es, zu erwachen,
Er hatte zu viel Seligkeit gebracht.
So folgt wohl auf den ersten Tag im Lenze
Die eisig kalte Winternacht.

Es war ein Traum!
Jetzt ist er längst vergessen.
Daß einst ich träumt', ich weiß es kaum;
Zuweilen nur zuckst's schmerzlich durch die Seele:
Dann sag' ich leis: "Es war ein Traum." 

Ferdinande Brackel

Ferdinande Maria Theresia Freiin von Brackel (1835-1905), deutsche Schriftstellerin, Dichterin. Pseudonym: E. Rudorf


An eine Rosenknospe

Die reiche Welt in Deinem Schoß

An eine Rosenknospe

Du zarte Knospe, sehn nicht blaß,
Ich tränke Dich mit hellem Naß,
Ich sonne Dich mit Liebesblick,
Du Pfand von stillem Herzensglück.

O Knospe, seltsam ist Dein Los,
Die reiche Welt in Deinem Schoß
Ging ungekannt mit Dir zur Gruft,
Verschlossen blieb Dein sanfter Duft.

Da nahm ich Dich, und hegte Dich,
Erschließe nun Dich gern für mich,
Dein zartes Rot, Dein lichtes Grün,
Wie reine Lieb' und Hoffnung blüh'n.

Es tönt zu mir Dein sanfter Hauch:
Einsames Herz, erschließ Dich auch,
Du nasses Auge, blick empor,
Dort blüht, was je das Herz verlor.

Helmina von Chezy

Wilhelmine Christiane de Chézy, geborene von Klencke (1783 – 1856), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin, Librettistin

Francisa

Denn gleich wie die Knospe der Blume

 Francisca

Francisca, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als Erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang' ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.

Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh' ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.

O glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler