Der gehaschte Schmetterling

Jüngst lag ich am Quellenrande

Der gehaschte Schmetterling
1796

Jüngst lag ich am Quellenrande
Unterm kühlen Pappelschatten.
Sorgenfrei war meine Seele,
heiter, wie des Baches Spiegel.
Um mich schwebten Schmetterlinge,
Wiegten sich auf Blumenkronen
Und beschauten sich im Bache.
Ich betrachte sie lächelnd,
Und mit ruhigem Vergnügen
Schaute bald mein Blick das leichte
Schweben, bald das Spiel der Farben
In den zarten Aetherflügeln.
Sieh da kam ein kleiner Knabe,
Blauer Wassernymphen jagend,
Welche scherzend vor ihm flohen,,
hinter mir aus dem Gesträuche.
keuchend stand er den mir stille,
Warf die blonden Ringellocken
Aus den vollen Gluthenwangen,
Und den süßen Schelmenaugen.
"Ach die schönen Schmetterling"
Rief er, "die dich hier umflattern!"
"Welche Luft, die Iris Gürtel,
"Und den Glanz der Perlenaugen
"Ihrer Fittig', in der Nähe
"Recht nach Muße zu berachten,
"Diese Flattrer fest zu halten!"
Er erregte meine Sehnsucht:
Ich erkohr mir mit den Augen
Den, der mich der schönste hauchte,
Und verließ mein sanftes Lager
Um den Flüchtigen zu fangen.
Aber immer lockend floh er
Vor mir her in kurzen Flügen,
Lockte mich vom Quell der Ruhe
Weit hinweg, in bange Wüsten.
Athemlos und müde folt' ich;
Endlich setzt auf einer Distel
Er sich fest; mit beiden Händen
Durch die Dornen nach ihn tappend,
hascht' ich ihn mit wunden Fingern.
Aber ach! nunmehr gewahrt' ich,
Daß sein ganzer Reiz nur Staub war,
Farbenstaub, den Zephnr abhaucht,
Den der Strahl der Sonne bleichet,
Der im Fangen sich verwischte.
Als ich nun die Täuschung wahrnahm,
kam die Weisheit mir zurücke,
Und ich gab den trügerischen
Buttervogel selbst den Winden,
Und mit ihm auch jede Sorge,
Jeden Wunsch und jede Sehnsucht.
Sucht wieder meinen Quell auf
Unterm kühlen Pappelschatten;
Und nun wird der lose Knabe,
Wolle er nochmals mich verführen,
Wenn er noch so schmeichelnd lockte,
Nimmermehr von ihm mich fernen.

Theone und Nina

Der Knabe

Gehört vom Lindwurm habt ihr oft

Der Knabe

Gehört vom Lindwurm habt ihr oft,
Ihr meine Spielgesellen,
Nun wird es wahr, was ich gehofft,
Den Drachen werd' ich fällen.
Er liegt gekrümmt am dunklen Ort
Im kleinen Schrank am Spiegel dort,
Da hat er seine Höhle.

Ihr seid die beiden Doggen traut,
Die ich zum Kampfe brauche,
Ich treib' euch an, ihr heulet laut
Und packt ihn unterm Bauche.
Ich geh' mit Schwert und Schild voran,
Mit Helm und Panzer angethan,
Und schrei' ihn aus dem Schlafe.

Hervor! hervor! du Höllenbrut!
Da, seht den grimmen Drachen!
Hu! wie er Feuer speit und Blut
Aus weit gesperrtem Rachen!
Wir kamen unbedachtsam nicht
Zu diesem Strauß, thut eure Pflicht,
Ihr meine guten Doggen.

Und schnappt er gierig erst nach mir,
Ich werd' ihn listig fassen,
Die aufgehäuften Bücher hier
Sind schwere Felsenmassen,
In seinen Rachen werf' ich sie,
Du Untier, erst verschlucke die,
Bevor du mich kannst beißen.

Die Schlacht beginnt, wohl aufgepaßt!
Wir wollen Gutes hoffen;
Er denkt: er hält mich schon gefaßt,
Sein weites Maul ist offen, –
Der dicke Scheller fliegt hinein,
Die andern folgen, groß und klein,
Der Bröder und der Buttmann.

O Buttmann! o was thust du mir,
Du dummer, zum Verderben?!
Du triffst den Spiegel, nicht das Tier,
Da liegen, ach, die Scherben!
Der dumme Spiegel nur ist schuld,
Und tragen soll ich in Geduld
Deshalb noch viele Schläge.

Das Glück hat feindlich sich erprobt,
Getrost, ihr Spielgesellen;
Ich werde, wenn der Meister tobt,
Mich selbst für alle stellen.
Er schlage mich nach Herzenslust,
Daß er es kann, ist mir bewußt,
Doch wird es so nicht dauern.

Ich bin auf immer nicht ein Kind,
Es wird das Blatt sich wenden.
Die durch die Rute mächtig sind,
Die Ruten werden enden.
Ich hab' als Kind den Schwur gethan,
Und bin ich erst erwachs'ner Mann,
Dann weh' den Rutenführern!

Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher