Freund

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust,
An ihm hat meine Seele ihre Lust.
Ach, lebte sie nicht , möcht' auch ich nicht leben,
Der Tod allein wär' dann mein eifrig Streben.
Doch hat den Fuß der Fallstrick mir umwunden, 
Wie Vieh, geführt zur Schlachtbank, wird gebunden.
Im Mühsalstiegel werd' ich nun geläutert,
Die Seele auf der Wandrung Bahn geschleudert.
Weh mir, so muß in Edom ich verweilen!
Doch möge Gott die Wunde nie mir heilen,
Sollt' Deine Huld aus meinem Mund je weichen,
Die Liebe ich aus meinem Herzen streichen.
Der Klage macht das Auge mir so trübe,
So finster schwarz, daß ich mein weiß Gewand
Mit meinem Auge habe schwarz gebrannt.
Doch fesseln jetzt mich des Geschickes Ketten,
Vielleicht wird Gott - noch harr' ich - mich erretten,
Das Leid in meiner Tränen Flut versenken,
Dem schon Verschiednen neues Leben schenken

Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

Ode an die Freiheitskämpfer

Erwachet! Erwachet! Erwachet!

Ode an die Freiheitskämpfer

Auf! auf! auf!
Blut dampft von der Erde, die Brot euch versagt.
Um die Todten, die sanken zuhauf,
Sei aus strömenden Wunden ein Grablied geklagt.
Keine andere Trauer sei ihnen gebracht!
Sohn, Bruder und Gattin sind niedergemacht;
Wer sagt, daß sie fielen in ehrlicher Schlacht?

Erwacht! erwacht! erwacht!
Seit je befeinden Tyrann sich und Knecht.
Werft nieder die Ketten mit Macht
In den Staub, daß den Tod ihr der Brüder rächt!
Im Grabe wird regen sich ihr Gebein,
Wenn die Stimmen der Lieben im blutigen Schein
Des heiligen Kampfes um Rache schrein.

Hoch laßt das Banner wehn,
Wenn die Freiheit ladet zu Sieg und Tod,
Ob als Sklaven auch um sie stehn
Hunger und Elend und seufzende Noth.
Und ihr, die geschaart um ihr herrlich Gefährt,
Zückt nicht zuerst das mordende Schwert,
Doch die Mutter zu schützen, seidmannlichbewehrt!

Heil, Heil, Heil
Denen, die litten und Großes vollbracht!
Keinem wurde zu Theil
Größerer Ruhm, als der euch umlacht.
Den Feind nur haben Erobrer bekriegt,
Dessen Stolz nun gebändigt zu Boden liegt: –
Ihr habt, siegreicher, euch selbst besiegt.

Kränzt, kränzt eure Stirn
Mit Veilchen, Epheu und Tannengrün;
Bedeckt das blutige Hirn
Mit Farben, wie göttlich im Lenz sie glühn:
Grüne Kraft, blaue Hoffnung und Ewigkeit,
Doch Vergißmeinnichtblümchen verbannet weit,
Bewahrt das Gedenken an euer Leid!

Percy Bysshe Shelley

Percy Bysshe Shelley (1792 – 1822), britischer Schriftsteller, Dichter