Freund

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust

Ein Vöglein nistet tief in meiner Brust,
An ihm hat meine Seele ihre Lust.
Ach, lebte sie nicht , möcht' auch ich nicht leben,
Der Tod allein wär' dann mein eifrig Streben.
Doch hat den Fuß der Fallstrick mir umwunden, 
Wie Vieh, geführt zur Schlachtbank, wird gebunden.
Im Mühsalstiegel werd' ich nun geläutert,
Die Seele auf der Wandrung Bahn geschleudert.
Weh mir, so muß in Edom ich verweilen!
Doch möge Gott die Wunde nie mir heilen,
Sollt' Deine Huld aus meinem Mund je weichen,
Die Liebe ich aus meinem Herzen streichen.
Der Klage macht das Auge mir so trübe,
So finster schwarz, daß ich mein weiß Gewand
Mit meinem Auge habe schwarz gebrannt.
Doch fesseln jetzt mich des Geschickes Ketten,
Vielleicht wird Gott - noch harr' ich - mich erretten,
Das Leid in meiner Tränen Flut versenken,
Dem schon Verschiednen neues Leben schenken

Jehuda ha-Levi

Original von Jehuda ben Samuel ha-Levi (1074 – 1141), sephardischer Arzt und Philosoph, hebräischer Dichter

Übersetzer: Abraham Geiger (1810 – 1874), deutscher Rabbiner Historiker, Gründer des Reformjudentums, Übersetzer, Schriftsteller

Geduld

Umstarrt vom Eis des Norden

Geduld

Umstarrt vom Eis des Norden
In trüber Einsamkeit,
Ist mir ein Blümchen worden
Das duftend mich erfreut.

Im Thaue bittrer Thränen
Entfaltete es sich,
Und heilte von dem Sehnen
Nach bessrer Zukunft mich.

Tief trag ich es verborgen
In der verschwiegnen Brust.
Da wandelt’s meine Sorgen
In stiller Wehmuth Lust.

Um mein Geschick zu tragen
Gab mir’s des Himmels Huld.
Wie heisst es? wirst Du fragen.
Das Blümchen heisst – – Geduld.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin