Auf den Bergen
Freu’ Dich nicht des blauen Himmels,
Bist Du noch so harmlos, Kind?
Fühlst Du’s nicht? durch Erd’ und Himmel
Zieht gewitterschwüler Wind!
Trau’ nur nicht der Himmelslüge,
Nicht dem Sonnenlächeln trau’,
Denn es regnet, weinet innen –
Nur nach außen lacht es blau!
Ada Christen
Christiana von Breden, geborene Friederik (1839 – 1901), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Bekannt auch als Ada Carla, Christine von Neupauer, Satanella
aus: „Aus der Asche“. Neue Gedichte von Ada Christen. Verlag: Hamburg, Hoffmann & Campe, 1870. Wandernd. Seite 45
Telepathie
Schwarze Nacht . . . !
Ich sitze aufrecht,
Bangigkeit wacht!
Ich kann nicht ruhn —
Glück ist verdorben
Wolken ziehen den Himmel herauf:
Angst schlägt die Augen auf,
Wände werden grossmaschig.
Fernen spiegeln
Bilder zurück.
Heissliebster —
„Hans im Glück" am Tag —
Träumt schlafend die Nacht !
Unter Wimpern drängt sich
Heisses Nass hervor:
Er weint — er weint so bitterlich
Im Traum über mich — — — —
Elsa Asenijeff
Elsa Maria Packeny (1867-1941), österreichische Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Hohelied an den Ungenannten“, lyrischer Roman von Elsa Asenjijeff. Verlag: München bei Georg Müller, 1914. Seite 60
Das Vöglein in blauer Luft / Zugvögel
Vöglein in blauer Luft,
Hab' dich so gerne,
Schwebst über Meer und Kluft
Sanft wie die Sterne,
Hin, wo der Frühling blüht,
Trägst du dein schwellend Lied --
Grüß' mir die Ferne!
Wenn sich dein Flügel spannt
Seligem Triebe,
Fühlt sich das Herz verbannt,
Wo ich auch bliebe --
Vöglein vergiß mir nicht,
Was meine Sehnsucht spricht:
Grüß' mir die Liebe!
Fliegst in die Welt hinein,
Hörst nicht mein Flehen?
Willst nicht mein Bote sein?
Kannst nicht verstehen,
Ob ich gelacht, geweint?
Nun denn, Ade mein Freund,
Laß mich vergehen!
Und eine andre Schaar
Regt das Gefieder --
Ewig mir treu und wahr
Bleiben die Lieder!
Tragen den Gruß in's All,
Bringen des Himmels Schall
Göttlich mir wieder!
Karoline Fidler
Karoline von Fidler (1801-1874), deutsche Dichterin. andere Namen: Karoline Winkler, Karoline Charlotte Schultz
aus: Gedichte“ von Karoline Fidler. 1844. Als Handschrift erschienen.
Morgengedanke 1761
Der Morgen dreht sein heitres Angesichte
Uns lächelnd zu, und weckt mit sanftem Lichte
Die Creaturen an den Tag hervor!
Der Sperling schwazt, die muntern Hähne krähen
Den Lobgesang, und aller Augen sehen,
Zu Gott, der sie ernährt, empor.
Auch ich bin wach, und meinem ersten Blicke
Befehl ich, daß er Dank zum Himmel schicke
Für diese Ruh, für diese sanfte Nacht!
Es ist ein Gott, der diese Welt regieret,
Der aus dem Staub mich wunderbar geführet,
Und der mir Freud und Freunde macht!
Es ist ein Gott! er sah oft meine Zähren,
Und hörte Kinder Brod von mir begehren,
Wann lange schon die Mittags-Sonne schien.
Sie sind dahin, die Tage meiner Plagen,
Und daß nach Brod nicht meine Sorgen fragen;
Dies will mein Gott, dies ist durch ihn
Mein ruhig Herz und dieser stille Friede,Der um mich herrscht, der keinen Tag mich müde
Von Arbeit, oder von Verdrusse, sieht;
Das sanfte Feur, das durch die Adern dringet,
Und dis Gefühl, das in mir denkt, und singet,
Das dank ich dem, der mich durch Güte zieht.
Ich heische nicht aus seinen vollen Händen
Ein grösser Glück. Nicht Reichthum soll er senden,
Nicht eiteln Ruhm und was ins Auge fällt.
Mein Mittelstand, der Rock, der reinlich kleidet,
Ein gnugsam Brod, genossen unbeneidet,
Dies sey mein Theil und bleib es in der Welt.
Anna Luise Karsch.
Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Auserlesene Gedichte“ von Anna Luise Karsch. Verlag: Berlin, Winter, 1764. Erstes Buch. Oden. Seite 21 – 22
Mutter Erde
Mitternächtges Dunkel spinnt
um die Welt ein heimlich Träumen;
leise singt der Frühlingswind
in den knospenschweren Bäumen.
Fern noch einer Lampe Schein,
und der Himmel schwarz verhangen – –
in den dunklen Birkenhain
bin ich einsam ausgegangen.
Schmeichelnd um die Stirne streicht
mir der Lenznacht weicher Odem,
aus den feuchten Beeten steigt
Erdgeruch und Nebelbrodem.
Aus dem Schoß der Wolken fällt
groß und warm der erste Tropfen –
und mir ist, das Herz der Welt
hör ich in der Stille klopfen.
Durch die Nacht, so kirchenstill,
30geht ein Raunen und ein Regen,
jedes kleinste Pflänzchen will
Zwiesprach mit dem Schöpfer pflegen.
Was in dunklen Tiefen schlief,
ruft ans Licht ein neues Werde –
und die Kniee beug ich tief
31zur gebenedeiten Erde. –
Clara Müller-Jahnke
Clara Müller-Jahnke, geborene Müller (1860 – 1905, deutsche Dichterin, Journalistin, Frauenrechtlerin
aus: „Gedichte“ von Clara Müller-Jahnke. Erstdruck der Gesamtausgabe, herausgegeben von Oskar Jahnke. Berlin (Buchhandlung Vorwäets, Hans Weber), 1910.
Textgrundlage ist die Ausgabe: Clara Müller-Jahnke: Gedichte, herausgegeben und illustriert von Oskar Jahnke (1858 – 1898) , Berlin: Buchhandlung Vorwärts, Hans Weber, [1910], Seite 28
Im Garten des Serail
Rosen senken ihr haupt so schwer
Von tau und duft.
Pinien schaukeln so schweigsam und matt
In schwerer luft.
Quellen rollen ihr schweres metall
In träger ruh.
Minarets schauen in Türken-vertraun
Dem himmel zu.
Der halbmond spielt in das sanfte blau
So sanft hinein
Und küsst der lilien und rosen schar ·
Alle die blumen klein
Im garten des serail –
Im garten des serail.
J. P. Jacobsen
Jens Peter Jacobsen (1847 – 1885), dänischer Schriftsteller, Dichter, Wissenschaftler
aus: „Zeitgenössische Dichter, Erster Teil: Rossetti, Swinburne, Dowson, Jacboson, Kloss, Verwey, Verhaeren“ Gesamtausgabe der Werke, Band 15. von Stefan George. Übertragung von Stefan George. Berlin, 1929. Dänemarke. Jens P. Jacobsen. Seite 55
Die Birke
I.
Die junge Frühlingssonne
Mit zarten Strahlenfädchen
Flirrt um die Jungfer Birke Mattgoldenes Filigran.
Wie eine Braut im Schmucke,
So schäumig schön, jungfräulich,
Steht zwischen schwarzen Tannen
Die schlanke junge Birke.
Könnt ich ein Bildchen malen
Mit zartgehauchten Farben,
Ich malte meine Birke
In junger Frühlingssonne.
Der Himmel sollte sie küssen,
Der heiter helle Himmel,
Und eine weiße Wolke
Schwömme über sie hin.
Das Gras zu ihren Füßen,
Halb hoch im Halm, durcbflockt ich
Mit zarten Rosakelchen
Und blassen Margeriten.
Die sollten still wie Kinder
Aufblicken mit bellen Auge
Zur holden Jungfer Birke
In junger Frühlingssonne.
II.
Birke, wie warf du schön,
Als du im grünen Kleid, Zierliche Jungfrau, standst
Und dir der Frühlingswind Leise durchs zage Gezweig Strich, wie des Bräutigams Hand
Zärtlich der Braut durch die schimmernden
Locken streicht.
Birke, wie bist du scbön,
Die du im goldnen Kleid,
Schöne Matrone, stehst.
Ruhig in klarer Luft
Hängt nun das fahle Gezweig,
Wie die Arme der Frau
Lässig herab im ermüdeten Schoße ruhn.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 135 -136
Farben
Auf dem Moose mein Kopf,
In den Himmel mein Blick,
In die Himmelsbläue durch Blättergrün,
In die klare, stille, unendliche Welt
Der leuchtenden Luft.
Wie im Märchen, gebannt
Zu schweigendem Schlaf,
Starr stehen die Bäume.
Kein Wipfel rauscht,
Es schaukelt kein Blatt,
Kein Vogel hüpft
Von Zweig zu Zweig,
Von keinem Zweige
Klingt Vogelgesang.
Dem schönheitsoffenen Auge allein
Gehört diese stumme, lebendige Welt.
Des Himmels Blau,
Der Blätter Grün,
Der Stämme und Aeste Schwarz-Grau-Braun:
Sie leuchten ein Lied in den lauschenden Blick,
Wohl lautlos, still, doch voll Harmonie
Und lebenden Glückes voll, das fest
Im Herzen haftet, wie ein Gesang,
Der leise später aus Herzensgrund
Erinnerungsmelodien herauf
In flatterndem Schwellen erklingen lässt
Du sinnst und fragst: Wo kamen sie her?
Wo klangen sie einst sich
Ins Herz mir ein?
Und lauschst dem Lied aus der eigenen Brust,
Und tauchst hinab in des Glückes Tiefen,
Aus denen geheimnissdämmerweich
Der süssen Töne Erinnerung quillt....
Wo klang so voll und zart in Eins
Das Himmelsblau,
Das Blättergrün,
Von wechselndem Grau dumpf untertönt?
Die stumme, leuchtende Melodie
Drängt tief ins Herz:
Ich fühle, einst
Klingt sie herauf
In farbenleerer, dunkler Zeit.
Mein Auge trinke, trinke die tönende, leuchtende Fluth,
Sauge, sauge sie ein, oh Herz,
Waffne, rüste mit Schönheit dich
Gegen die Finsterniss!
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 118 – 120
Die Rose
Ein Röschen, schön wie's je der Norden sah,
Ganz einsam wuchs an eines Gärtchen Rand.
Noch nie war eine süße Blume da.
Und schönre Gärten waren nie bekannt.
Die Mädchen tanzten um es Ringelreihn,
Und weise Dichter es im Lied besangen.
Die flinken Elfen nachts im Mondenschein
Begossen es und küßten's voll Verlangen.
Doch weh! Der Gärtner gab nicht mehr drauf acht:
Mädchen und Elfen kamen nimmer wieder:
Und Dürre hatte Raupen hergebracht.
Die ließen sich auf Zweig und Knospen nieder.
Gott schütz' den Stocke! Wenn Himmel HIif' nicht endet,
Der Gartens schönste Blume dann verendet.
William Browne
William Browne of Tavistock (1590 – 1643), englischer Dichter
Das Kind
Süßer Schwindel schlägt hinüber,
Heiße Blicke gehen über,
Und ein neues Leben rinnt.
Unserer Liebe starke Wonnen
Sammelt ein als starke Sonnen
In die Himmel seiner Augen
Unser Kind.
Peter Hille
Peter Hille (1854 – 1904), deutscher Schriftsteller
aus: „Gesammelte Werke“ von Peter Hille. Herausgegeben von seinen Freunden. Erster Band. Verlegt bei Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904. Seite 55