Das Taghorn

Blinzle durch deine Wimpern

 Das Taghorn (übersetzt aus dem Mittelhochdeutschem ins Deutsche)

1.
Wach ganz leise
und behutsam auf,
liebste Freundin!
Blinzle durch deine Wimpern
und sieh,
wie sich das dunkle Grau
zwischen den
Sternen hellblau färbt.
Nun wach auf süße,
angenehme Weise auf,
meine Liebste,
und begrüße dein Herz,
das bei mir ist,
seit ich auf deine Stimme
verzichten muss.
Mögest du mir in Gedanken
ohne jede Falschheit ganz still
einen angenehmen guten Tag wünschen,
wie du ihn mir in deiner
Güte heute noch mit vielen
liebevollen Blicken zärtlich wünschen wirst,
so dass mein Herz vor Freude zusammenzuckt
und voller Zuversicht ist, wie sie
mir deine Güte nach Frauenart schenkt,
bis mir endlich
dein Mund selbst einen guten Tag wünscht.
 
2.
Wach
voller Liebe auf!
Reck deine kleinen Arme,
streck deine kleinen Füße.
Ich wecke dich,
indem ich dir die Decke wegziehe.
Entblöße dein Herz
und deine schönen Brüste,
die mich Armen nachts um den Verstand bringen.
Heb den Kopf
und höre
die seltsame Musik,
mit der dein Freund
dich wecken will.
Liebste, ich denke
Tag und Nacht
an den Anfang
unserer Liebe und daran,
wie das zärtliche Liebesspiel
mein Herz gefangen nahm,
als wir voller Liebe unsere Herzen tauschten,
so dass mein Herz bei dir blieb.
Im Gegenzug erhielt ich
deines von dir, liebste Freundin,
und trage dich auf diese Weise
überall tief im Innersten bei mir.
 
3.
Ich wünsche dir
eine angenehme Zeit,
in der vollkommene Freude
und höchstes Glück
dich stets begleiten mögen.
Lass mich wissen, Liebste,
was du dir wünscht.
Das will ich täglich für dich tun,
denn ich habe nie etwas lieber getan.
Hätte ich das Glück,
dich täglich sehen zu können,
so gäbe es keinen Mann
auf der ganzen Welt,
der jemals größere Freude empfunden hätte.
Dich, liebste Freundin,
anzusehen genügt mir,
um glücklich zu sein.
Denn alles an dir ist
voller Anmut, mögen die
auch übermütig spotten,
denen dein Verhalten missfällt.
Lass mich gehen, Liebste,
denk an mich und mach dir keine Sorgen.
Schlaf glücklich wieder ein,
es ist noch früh.
Bleib mir immer in Liebe verbunden.

Mönch von Salzburg

Johannes von Salzburg (2, Hälfte des 14. Jahrhunderts), Liederdichter, Komponist des Spätmittelalters

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Geübtes Herz

Und je länger er darauf gespielt

Geübtes Herz

Weise nicht von dir mein schlichtes Herz,
Weil es schon so viel geliebet!
Einer Geige gleicht es, die geübet
Lang ein Meister unter Lust und Schmerz.

Und je länger er darauf gespielt,
Stieg ihr Wert zum höchsten Preise;
Denn sie tönt mit sichrer Kraft die Weise,
Die ein Kundiger ihren Saiten stiehlt.

Also spielte manche Meisterin
In mein Herz die rechte Seele,
Nun ist’s wert, dass man es dir empfehle,
Lasse nicht den köstlichen Gewinn!

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Vermischte Gedichte Seite 79

Si e no

JO was Flammen kriegt ich da

VIII.

Si e no.

Ist es dir noch wol gedacht/
O du weist es sondern Zweiffel/
Isabella falscher Teuffel/
Was du hast für Wort gemacht/
Als ich fragte: bist du mein?
Soll ich dein Geliebter seyn?

2.
Ja/ sprach dein verlogner Mund/
Ja sprach dein verfälschtes Hertze/
Es befahl mich aller Schmertze/
Ja ich wil nicht mehr gesund/
Ja ich wil nicht ehrlich seyn/
Bin ich/ Celadon/ nicht dein.

3.
O was Flammen kriegt ich da/
Wasser/ Wasser/ Eyer/ Eyer!
Was war ich voll Liebes Feuer
Uber diß vermumte Ja.
Troja brennte nicht so sehr
Meine Liebe noch viel mehr.

4.
Aber wie ist nun mein Hertz/
Nun du Nein/ ich wil nicht/ sagest/
Nu du nach Hans (van) Tasten fragest?
Wie ein ausgeleschte Kertz
Es kan mier nichts kühlers seyn
Als dein freygesprochen Nein.

5.
Soll ich darumb traurig seyn/
Daß du mier dein Ja verkehrest
Und mich nicht wie vormahls hörest:
Nein/ du bist ja nicht allein/
Deines gleichen sind so viel
Als ein Landsknecht haben will.


Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon.

Das Herz

Das Herz hat seine Gründe

Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt; man fühlt es auf tausenderlei Weise.

Blaise Pascal

Blaise Pascal (1623 – 1662), französischer Erfinder, Schriftsteller, Physiker, christlicher Philosoph

„Pascal’s Gedanken über die Religion“ Eine historische und religonsphilosophische Untersuchung von Dr. Joh. Georg Drehdorff. Verlag: Verlag von Hirzel, Leipzir, 1875

Lehnt nicht dort die einst Geliebte?

Ach, die holden Züge seh’n

Lehnt nicht dort die einst Geliebte?


Lehnt nicht dort die einst Geliebte?
Vor so heitre, nun Getrübte - - -
Ach, die holden Züge seh'n!
Ja, sie ist noch immer schöne!
Wird dir doch so alt, so eigen!
Fühlst - wie einst - die Brust dir steigen -
Und du liebst sie doch nicht mehr!
Herz, o Herz, wer kennt dich? Wer!

Christian Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker

Herz

Du könntest dein Herz

Du könntest dein Herz in mich hineinwerfen und du würdest niemals den Aufschlag hören.

Kathleen Mansfield

Kathleen Mansfield Beauchamp (1888 – 1923), neuseeländische Schriftstellerin, Kritikerin, Erzählerin, Autorin von Kurzgeschichten

An meinem Herzen, an meiner Brust

Du meine Wonne, du meine Lust

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!
Das Glück ist die Liebe, die Lieb ist das Glück,
Ich hab's gesagt und nehm's nicht zurück.
Hab überschwenglich mich geschätzt
Bin überglücklich aber jetzt.

Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt;
Nur eine Mutter weiß allein
Was lieben heißt und glücklich sein.

O, wie bedaur' ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann!
Du lieber, lieber Engel, du
Du schauest mich an und lächelst dazu!

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!


Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Waldlied

Im Walde geh‘ ich wohlgemuth

Waldlied

Im Walde geh' ich wohlgemuth,
Mir graut vor Räubern nicht;
Ein liebend Herz ist all mein Gut,
Das sucht kein Bösewicht.

Was rauscht, was raschelt durch den Busch?
Ein Mörder, der mir droht?
Mein Liebchen kommt gesprungen, husch!
Und herzt mich fast zu todt.

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862), deutscher Dichter, Literaturwisenschaftler, Jurist, Politiker