Morgenständchen
Ich blase meine Flöte
Im Glanz der Morgenröte
Der Garten voll Tau.
Die Morgenwolken blühen
Am Himmel und glühen
Dir Gruß ins weiße Bett,
Vielliebe, liebe Frau!
Hör aus der Morgenkühle
War Ich im Herzen, fühle
War meine Sehnsucht singt.
Du sollst nicht erwachen,
Dir soll im Traume lachen,
War in der Morgenröte Glanz
Aus meiner Seele.
Ich blase meine Flöte
Im Glanz der Morgenröte
Und bin voll Morgenrot.
Die Bäume und Blumen im Garten
Ich und die Vögel warten,
Bescheer uns, o Herrin, gieb
Uns unser täglich Brot!
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder.. Seite 29
Das Lächeln
Es gibt ein Lächeln der Liebe
Und es gibt ein Lächeln der Täuschung
Und es gibt ein Lächeln des Lächelns
In dem sich diese beiden Lächeln treffen
Und es gibt ein Stirnrunzeln des Hasses
Und es gibt ein Stirnrunzeln der Verachtung
Und es gibt ein Stirnrunzeln des Stirnrunzelns
Die du vergeblich zu vergessen versuchst
Denn es steckt im tiefen Kern des Herzens
Und es steckt im tiefen Rückgrat
Und kein Lächeln, das je mild war
Sondern nur ein Lächeln allein
Das zwischen Wiege und Grab
Es kann nur einmal sanft sein
Aber wenn es einmal sanft ist
Hat alles Elend ein Ende.
William Blake
William Blake (1757 – 1827), englischer Dichter, Maler, Naturmystiker, Grafiker
aus: „The Pickering Manuscript – autograph manuscript fair copy of ten poems“ (Autogaphe Reinschrift von zehn Gedichten), 1802 – 1804. von William Blake. The Smile
Ode an die Lerche
Heil dir, Geist der Lieder!
Vogel bist du nicht,
Der vom Himmel nieder
Aus dem Herzen schlicht
Mit ungelernter Kunst in muntern Weisen spricht.
Feuerwolken gleich,
Hoch und höher schwingest
In der Lüste Reich
Du dich auf, und klingest,
Und singend steigst du stets, wie steigend stets du singest.
In der Abendsonne
Goldner Strahlenpracht
Schwebst du voller Wonne
Hin und wieder sacht,
Gleich körperloser Lust, die lind das Herz entfacht.
In die Purpurwellen
Tauchst du sanft hinein; –
Gleich dem Stern beim hellen,
Klaren Tagesschein,
Sieht man dich nicht, doch hör' ich deineMelodein.
Wie der Silbersterne
Strahlenschimmer sprüht,
Dessen Licht, das ferne,
Morgens schnell verglüht,
Und doch fortleuchtet, ob der Blick es kaum mehr sieht.
Deiner Lieder Reigen
Erd' und Luft durchschwillt,
Wie in nächt'gem Schweigen
Einer Wolke mild
Des Mondes Licht, das rings den Himmel hellt,entquillt.
Aehnlich dir an Segen
Nichts die Welt umschließt.
Nie so goldner Regen
Bunter Wolk' entfließt,
Wie deiner Lieder Fluth harmonisch sich ergießt.
Wie ein Dichter, singend,
Was sein Herz empfand,
Jede Brust bezwingend,
Bis die Welt entbrannt
In Furcht und Hoffnung, die sie früher nicht gekannt;
Wie auf stolzer Zinne
Eine Edelmaid,
Die von süßer Minne
Singt bei nächt'ger Zeit
In holdem Liebessang, berauscht von Lust und
Leid;
Wie im abendfeuchten
Thal des Glühwurms Licht,
Deß ätherisch Leuchten
Durch die Gräser bricht,Doch siehst das Thierchen du vor Blüth' und Blättern nicht;
Wie die Ros' in Lüften
Wiegt ihr Blumenhaupt,
Bis der West in Düften
Ihr den Kelch zerklaubt,
Daß trunken wird der Dieb, der ihr den Honig raubt.
Frühlingsregens Fließen
Auf dem grünen Hang,
Thaufall auf den Wiesen,
Nichts die Welt entlang,
Das frisch und fröhlich ist, gleicht deinem hellen Sang.
Dein Empfinden lehr uns,
Vogel oder Geist!
Nie ein Lied so hehr uns
Wein und Liebe preist,
Wie deins im Götterrausch die Seele aufwärts reißt.
Bräutliche Gesänge,
Siegesliederklang
Sind nur hohle Klänge
Gegen deinen Sang –
Ein fehlend Etwas spürt der Geist in ihnen bang.
Ach, was mag die Quelle
Deiner Lieder sein?
Anger, Berg und Welle?
Wolkenflucht und Hain?
Der Liebesinbrunst Macht? Unkenntniß aller Pein?
Nie verzehrt Ermatten
Deine frohe Brust,
Dumpfen Ekels Schatten
Trübt dir nie die Lust;
Du liebst, doch ist dir nie der Liebe Leid bewußt.
Dir in Schlaf und Wachen
Muß des Todes Welt
Lichterfüllter lachen,
Als sie uns sich hellt –
Wie tönte sonst dein Lied so rein vom Himmelszelt?
Uns zerquält das Morgen
Oder Gestern heut,
Uns wird, ach! durch Sorgen
Jede Lust entweiht,
Und unser schönstes Lied, es spricht von tiefstem
Leid.
Doch wenn fremd uns wären
Furcht und Stolz und Haß;
Würde nie von Zähren
Uns das Auge naß,
So ließ' uns deine Lust wohl kalt ohn' Unterlaß.
Besser als geschraubter
Melodien Brunst,
Besser als verstaubter
Bücher Weisheitsdunst,
Du Erdverächter, wär' dem Dichter deine Kunst.
Halb nur deine Lust
Wolle mit mir tauschen: –
Dann aus meiner Brust
Sollt' ein Lied entrauschen,
Dem würde, wie ich dir gelauscht, die Erde lauschen.
Percy Bysshe Shelley
Einsamkeit
Frohen Herzens bin ich in die Welt gegangen
Und voll Sonne war mein junger Blick,
Doch nun kehrt' ich mit verhärmten Wangen
Wieder zu der Einsamkeit zurück.
Und ich sehe wunschbefreit und weise
In das bunte Schicksalseinerlei,
Kaum verspür ich's noch, so leise, leise
Rinnt an mir die Jugendzeit vorbei.
Immer werden meine Blicke weiter,
Selig halt' ich eine Welt umspannt,
Denn ich blicke froh und wissensheiter
In des Lebens unbegrenztes Land.
Hieher dröhnt kein Wächterschritt der Stunden,
Unbemerkt verbraust mein herbes Leid,
Langsam narben meine tiefen Wunden
Von der weichen Hand der Einsamkeit.
Meiner Seele nahm ich dumpfe Riegel,
Und geöffnet prangt der Wunderschrein,
Ewig lernend blick' ich in den Spiegel
Meiner eignen neuen Welt hinein.
Was sich dort im Leben ohne Ende
Streitet, blendet, schlägt und überschreit
Liegt hier, Farben, Töne, wie in Bände,
Meinem Willen nach, geformt, gereiht.
Jedes Wesen fürchtet meinen Willen
Hier im engen – unbegrenzten Raum
Jede Sehnsucht weiß ich zu erfüllen. –
Wirklichkeit entblüht dem Dichtertraum.
Und wenn heimlich dann an manchen Tagen
Meine Sehnsucht hin zum Leben zieht
Brauch ich dieses Buch nur aufzuschlagen
Und die Seele schaut und wird nicht müd . . .
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist
aus: „Silberne Saiten. Gedichte“ von Stefan Zweig. Titelblatt und Randleisten von Hugo Steiner. Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig, 1901
The Mirror
I.
It saw, it knew thy loveliness,
Thy burning lip and glancing eye,
Each lightning look, each silken tresa Thy marble forehead braided by,
Like an embodied music, twined
About a brightly breathing mind.
II.
Alas ! its face is dark and dim ;
No more its lightless depth below That glancing eye shall seem to swirn.
That brow to breathe or glow ; Its treacherous depth - its heartless hue -
Forgets the form that once it knew.
III.
With many a changing shape and face Its surface may be marked and crossed -
Portrayed with as distinct a grace As thine, whoseloveliness is lost;
But there s one mirror, good and true,
That doth not lose what once it knew.
IV
My thoughts are with that beauty blest, A breathing, burning, living vision,
That, like a dove with wings at rest,
Still haunts the heart it makes Elysian;
And days and times pass like a sleep
Softly sad, and still, and deep;
And, oh ! what grief would wakening be
From slumber bright with dreams of thee!
John Ruskin
Agonia
When our delight is desolate,
And hope is overthrown ; And when the heart must bear the weight
Of its own love alone ;
And when the soul, whose thoughts are deep,
Must guard them unrevealed, And feel that it is full, but keep
That fulness calm and sealed ;
When Love s long glance is dark with pain
With none to meet or cheer ; And words of woe are wild in vain
For those who cannot hear ;
When earth is dark, and memory
Pale in the heaven above The heart can bear to lose its joy,
But not to cease to love.
But what shall guide the choice within,
Of guilt or agony, When to remember is to sin,
And to forget to die ?
John Ruskin
Deine Liebe hat mich beschlichen
Deine Liebe hat mich beschlichen,
Wie der Frühling die Erde,
Wann der Winter nun ist entwichen,
Kaum merkt sie, daß warm es werde.
Aber der Sonne heimliche Kraft
Hat schon das Herz ihr gerühret,
In der Wurzel regt sich der Saft,
Noch ehe der Zweig es spüret.
Der Schnee zerschmilzt, die Wolken zergehn,
Die erste Blüt' ist entglommen,
Dann sieht sie in voller Glut sich stehn
Und weiß nicht, wie es gekommen.
Friedrich Rückert
Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung
aus: „Liebesfrühling“ von Friedrich Rückert. Verlag: J. D. Sauerländer’s Veralg, 1880. Erster Strauß, Erwacht. Viii.. Seite 10
Du meine Seele, du mein Herz
Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn', O du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab!
Du bist die Ruh', du bist der Frieden,
Du bist der Himmel mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bess'res Ich!
Friedrich Rückert
Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung
aus: „Liebesfrühling“ von Friedrich Rückert. Verlag: J. D. Sauerländer’s Veralg, 1880. Erster Strauß, Erwacht. III. Seite 6
Stille
Still, still, still!
Es schweiget Feld und See und Wald,
Kein Vogel singt, kein Fußtritt hallt;
Bald, bald
Kommt weiß und kalt
Der todte Winter
Über dich, Erde,
Und deine Kinder.
Auch du wirst still,
Mein Herz; der Sturm, der sonst so wild
Dich rüttelt, schweigt. Ein jedes Bild
Verhüllt.
Ganz, ganz gestillt
Liegst du im Schlummer.
Es schweigt die Freude,
Es schläft der Kummer.
Still, still, still!
Er kommt, er kommt, der stille Traum
Von einen. stillen kleinen Raum.
Kaum, kaum,
Du müder Baum,
Kannst du noch stehen.
Bald wird dich kein Auge
Mehr sehen.
Friedrich Theodor Vicher
Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Erzähler, Schriftsteller
aus: „Lyrische Gänge“ von Friedrich Theodor Vicher. Verlag: Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1882. Faust’sche Stimmen, Seite 12 – 13
CANTATA
ARIA.
Hoffe nur, geplagtes Herze!
Daß der Himmel nach dem Schmerze
Dich auch einst erfreuen kan.
Weg mit ängstlichen Geberden!
Hoffe nur und stelle dir
Gottes treue Sorgfalt für,
Diese wird ja wohl an mir
Nicht erst zum Tyrannen werden.
Wen heut das Glück verfolgt, den lacht es morgen an. Da Capo.
Die Hoffnung hält mich nur, sonst läg ich wirklich schon,
Ihr angenehmer Thon
Verstopft mein Ohr von jener ungereimten Melodie,
Mit der die schwermendlauten Grillen
Bey der verdrüßlichen Melancholie
So Kopf als Herze füllen.
Gesetzt mein Glücke wankt, gesetzt auch, daß es fällt,
Die Hoffnung, die mich stets mit starken Armen hält,
Entreist mich der Gefahr,
Von der ich ohne sie unmöglich zu befreyen war.
Ach! Hoffnung! ach! du läßt mich sicher stehen,
Wenn andre neben mir in der Verzweiflung untergehen.
ARIA.
Nehmt die Messer statt des Bogens,
Fiedelt euch selber die Kählen entzwey!
Der Satan giebt den Tackt, wenn die Verzweiflung musiciret,
Die nebst der Melodie das Leben rächelnde verliehret.
Ach! geigt so schön ihr wollt! ich tret euch niemahls bey,
Nehmt die Messer statt des Bogens,
Fiedelt euch selbst die Kählen entzwey!
Die Hoffnung spielt auf einem andern Thone,
Drum kriegt sie auch den Segen ganz gewiß zum Lohne.
Denn wer nur warten kan,
Trifft endlich sein Vergnügen an.
Die Ungeduld meynt zwar das Glücke zeitig zu ereilen,
Allein sie pfleget es nur desto länger zu verweilen.
ARIA.
Das Glücke kommt selten per posta, zu Pferde,
Es geht zu Fusse Schritt vor Schritt.
Sein Eigensinn ist nicht zu zwingen,Man mag auch noch so sehr nach seiner Ankunft ringen,
Es ändert darum nicht den langsamfortgesetzten Tritt.
Das Glücke kommt selten per posta, zu Pferde,
Es geht zu Fusse Schritt vor Schritt.
Was will ich mich vergebens grämen?
Gibt mir der Himmel nichts, so kan ich ihm nichts nehmen.
Verhängniß! ach! ich schreibe dir
Nichts für.
Vergnüge mich, wie, wenn und wo es dir gefällt!
Mein Wohlseyn bleibt in deine freye Wahl gestellt.
ARIA.
Mein Glücke nimmt sich Zeit. Ich laß es mir gefallen.
Es kommt nun wenn es kommt, so nehm ichs freudig an.
Kommt es nicht heute, so kommt es doch morgen.
Der Himmel wird mich doch versorgen,
Er weiß schon, daß ich warten kan.
Mein Glücke nimmt sich Zeit. Ich laß es mir gefallen.
Es kommt nun wenn es kommt, so nehm ichs freudig an.
Daniel Stopp
Daniel Stoppe (1697-1747), deutscher Schullehrer, Dichter, Schriftsteller
„Der Parnaß im Sättler, Oder Scherz- und Ernsthafte Gedichte“ des Herrn Daniel Stoppens, aus Hirschberg in Schlesien. Mitgliedes der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Frankfurt und Leipzig, Verleges Gottlieb Siegert, Buchhandlung in Hirschberg, 1735. Glückwünschungs-Gedichte. Cantata, Aria: Seite 84 – 86