Orchis neigt im Lenz die schlanken Blätter,
Kassia blüht im Herbste weiß und rein,
Werden, wachsen, ihnen ist es Wonne,
Wenn sie sich so ihres Lebens freun.
Wer denn weiß, wie die Waldbewohner
Winden lauschen, still im Grund, vergnügt?
Gras und Bäumen ist ein Eigenwesen,
Warten nicht, daß sie die Schöne pflückt.
Herbstgefühl
Komm mit mir hinauf in unseren Berggarten.
Komm mit mir unter den Apfelbaum,
Unter unseren Apfelbaum.
Tief biegen sich seine schweren Äste,
Tief nieder ins hohe Gras.
Es ist die Zeit der Fruchtfülle. -
Wir wollen diese herrlichen Früchte sehn und kosten;
Mit lachenden Zähnen
In dies köstliche Sauersüß beißen,
In's Sauersüße.
Und dann werden wir unsere Arme
Auf den weichen gelben Mauerpfeffer legen,
Und werden,
Im Innersten beruhigt,
hinausschauen
Auf tiefes wundersames Schollenbraun;
Mit der schönsten Fröhlichkeit,
Mit heimlicher wissender Endfröhlichkeit.
Die Nacht lächelt aus dem Braun
Mit ihrem schönsten Mutterlächeln.
Die Nacht.
und noch einmal zeigt sie uns alles, alles
So tief als ein Fertiges,
Wie sie es zu zeigen pflegt;
O so, weißt Du,
Daß es so wundersam zu einem Geahnten, kommenden wird,
Das eine, einzige Geschickt,
Das wir alle leben.
Und unser dunkles Lachen
Wird ein erlöstes Weinen fein.
Kinder wir, immer Kinde der Einen;
Verzagend, hoffend, getröstet, bang und fromm,
Und immer neu begierig,
Und immer verlangend.
Herbstgefühl wollen wir sehen,
Unter unserem Apfelbaum,
Im Berggarten,
trunken vom Sauersüßen ...
Johannes Schlaf
Johannes Schlaf (1800 – 1862), Schriftsteller, Erzähler, Dramatiker, Naturalist.
aus: „Das Sommerlied“ Gedichte, von Johannes Schlaf. Verlag: Axel Juncker Verlag in Stuttgart, 1905. Seite 162 – 163
Herbst
Gelbe Vögel fliegen durch die Luft,
Wirbeln nieder zu der Erde Feuchte,
in bewegter, laubdurchstäubter Duft
Füllt der Bäume herbstliches Geleuchte.
Mit gelösten Fingern greift der Wind
Durch der Zweige flatterfrohe Saiten,
Weit, auf dunklen Rossen, pfeilgeschwind
Seh ich rote Wolkenfrauen reiten.
Vor des Herrschers Tigerfleckenheer
Nahen kühn des Nordens Nebelriesen,
Jauchzen dröhnt und Jubel schwingt umher.
Seine Fülle faßt nicht Wald noch Wiesen.
Singe, Herz, und töne hell hinein In des Königs reifestarkes Jagen, Wann der Stürme Fiedeln und Schalmein
Toll umsausen seinen Krönungswagen.
Letzte Rosen ihm am Gürtel blühn.
Golden greift die Krone nach den Sternen,
Dionysisch wallt im Purpurglühn
Sein Bacchantenzug in trunkne Fernen.
Maria Stona
Maria Stona, geborene Maria Scholz (1861 – 1944), Dichter, Schriftstellerin, Sallonieré. Pseudonyme: Maria Stonawski, Maria Stona
aus: „Flammen und Fluten – Neue Gedichte“ von Maria Srona. Verlag von Carl Reissner, Dresden, 1912. Seite 17
Der Frühling
(an die Frau von Wrech)
Freundin dessen, der die Welt regieret,
Der an diamantnen Ketten führet
Jene Sonnen über unserm Haupt!
Sieh'! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen
Mit dem Schmuck, den ihm der Herbst geraubt.
Siehe! wie beflügelt er gekommen
Und die Trauer der Natur benommen.
Wie er sie schon jugendlich geschmückt,
Mädchen, die den Lenz im Antlitz haben,
Männer, Jünglinge und kleine Knaben
Und der Greiß, der sich am Stabe bückt;
Alles geht, gereizt von den Gerüchen
Junger Veilchen, die so niedrig kriechen
Und doch edler, als die Tulpen sind!
Und der Hyacinthen ofne Glocken
Duften Balsam, den um seine Locken
Dir entgegen trägt der Frühlingswind.
Blat und Frucht, die in der Knospe lagen
Dringen sich des Schöpfers Lob zu sagen,
Aus der Hülle nun mit Macht hervor.
Wenn die stummen Redner prächtig blühen,
Steigt, in regellosen Symphonien
Aus den Zweigen ein Gesang empor!
Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied
Unter ihr, in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommnem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht!
Lämmer, die noch an den Müttern saugen,
Blöken dem zum Lobe, dessen Augen
Das Insekt im Staube kriechen sehn.Ihn muß so der Wurm im Grase preisen,
Als das Herz mit ihm bekannter Weisen,
Als die Räder, die den Weltbau drehn.
O du Tochter seiner Lieb und Güte,
Der in jedem Lenz die junge Blüthe,
Und die grüne Saat sein Lob beschreibt.
Höher, als der Dichtgeist in dem Fluge
Preisest du mit jedem Athemzuge
Einen Gott, der deine Freude bleibt!
Alles singt ihm. – Seine Nachtigallen
Oft behorchend, will ich Lieder lallen
Voll vom Lobe dessen, der mich schuf;
Bienen, die auf Lindenwipfeln summen,
Und des Fleisses Lehrer, jene Stummen
Im Erdhaufen, werden mir ein Ruf!
Anna Luise Karsch
Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Auserlesene Gedichte“ von Anna Luise Karsch. Verlag: Berlin, Winter, 1764. Erstes Buch. Oden. Seite 33 – 35
Des Narren Herbstlied
Bunt wie mein Mantel und Kleid
Wird nun die Welt, oh weh.
Lacht mir das Herz im Leib,
Wie ich das feb.
Einft war ich jung und frisch,
Eija, da war ich grün,
Grün wie die Weide, daran
Maikätzchen blühn.
Dann kam die Zeit, die Schnitt
Falten ums Maul mir schief.
Grinfen lernte ich da
Und weinte tief.
Trug bald ein bunt Gewand,
Schuppen und Schellen daran,
Webe, es klirrt, wenn ich spring,
Ich alter Mann.
Holla, ein bunter Narr!
Holla, ein Klimperkleid!
Holla, die Welt wird bunt,
Und ich gescheit.
Laßt mich nun schlafen geh'n,
Legt mich ins Grab hinein!
Ueber ein Kleines, ach,
Wird Frühling sein.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder. Seite 25 – 26
Sehnsucht
Niemals hab ich Liebeslust empfunden
In den raschen, mauerschwülen Stunden! –
Hier im alten Parke, wo nur noch verspätet
Sonnenblitze schimmern und die Stimmen
Müde in die Dunkelheit verschwimmen,
Möcht' ich lieben, wenn der Abend leise betet. –
Treten möcht' ich durch die offne Pforte
Und im Dämmer einer Liebsten Worte
Flüstern, bis Gewährung ihre Wangen rötet,
Dort, wo hinter goldumglänzten Gittern
Rote Rosen in Erwartung zittern
vor dem Herbst, der sie in seinem Arme tötet . . .
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist
aus: „Silberne Saiten. Gedichte“ von Stefan Zweig. Titelblatt und Randleisten von Hugo Steiner. Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig, 1901
Der erschöpfte Herbst, den jetzt nicht einmal ein seltener Sonnentag wieder erwärmt
Der erschöpfte Herbst, den jetzt nicht einmal ein seltener Sonnentag wiedererwärmt, verliert nach und nach seine letzten Farben. Ausgelöscht ist die intensivste Glut seines Laubwerks, das so in Flammen stand, daß man nachmittags und morgens die glorreiche Illusion eines Sonnenuntergangs haben konnte. Als die letzten leuchten noch die Dahlien, die indischen Nelken, die malvenfarbenen, violetten, gelben, weißen und rosenfarbenen Chrysanthemen hier auf dem dunklen, trostlosen Untergrund des Herbstes.
Marcel Proust
Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust (1871 – 1922), Schriftsteller, Essayist, Literaturkritiker
aus: „Tag der Freuden“ von Marcel Proust. Übertragen aus dem französischen ins Deutsche von Ernst Weiß (1882 – 1940). Verlag: Berlin, Propyläen-Verlag. Kapitel: Trauer und Träume in allen Regenbogenfarben.
Herbstlied
Feldeinwärts flog ein Vögelein,
Und sang im muntern Sonnenschein
Mit süßem wunderbarem Ton:
Ade! ich fliege nun davon,
Weit! weit!
Reis' ich noch heut.
Ich horchte auf den Feldgesang,
Mir ward so wohl und doch so bang;
Mit frohem Schmerz, mit trüber Lust
Stieg wechselnd bald und sank die Brust:
Herz! Herz!
Brichst du vor Wonn' oder Schmerz?
Doch als ich Blätter fallen sah,
Da sagt ich: Ach! der Herbst ist da,
Der Sommergast, die Schwalbe, zieht,
Vielleicht so Lieb und Sehnsucht flieht,
Weit! weit!
Rasch mit der Zeit.
Doch rückwärts kam der Sonnenschein,
Dicht zu mir drauf das Vögelein,
Es sah mein tränend Angesicht
Und sang: die Liebe wintert nicht,
Nein! nein!
Ist und bleibt Frühlingesschein.
Ludwig Tieck
Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Herausgeber
aus: „Gedichte“ von Ludwig Tieck. Erster Theil. Neue, unveränderte Ausgabe. Verlag: Dreseden, Grimmer’scher Buchhandlung, 1834. Seite 120 – 121
Herbst
Herbstregen sprüht auf Stoppelfeld und Heide,
Aufschauernd bebt die Erle, nackt und bar,
Und wie im Sturm des Bettlers greises Haar
Weht flatternd das Geäst der alten Weide.
Fort mit den Schwalben flog die Sommerfreude,
Der Wald ist stumm, die Sonne blöd' und blind,
Der letzten Halme letzte Träne rinnt,
Eh' sie zum Schlaf die müden Köpfchen senken.
Bald deckt ihr Grab mit Schnee der Winterwind,
Und bald auch deins. Nun magst du, Menschenkind,
Des eingnen Endes sorgenvoll gedenken.
Friedrich Wilhelm Weber
Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker
aus: „Gedichte“ von Friedrich Wilhelm Weber. Verlag: Paderborn, F. Schönigh, 1895. Zweites Buch. Seite 110
Ich lieb den Herbst, im Blicke Trauer.
In stillen Nebeltagen geh
Ich oft durch Fichtenwald und seh
Vor einem Himmel, bleich wie Schnee,
Durch Wipfel wehen dunkle Schauer.
Ich lieb, ein herbes Blatt zu Brei
Zu kauen, lächelnd zu zerstören
Den Traum, dem wir so gern gehören.
Fern des Spechtes scharfer Schrei!
Das Gras schon welk … schon starr vor Kühle,
Von hellen Schleiern überhaucht.
In mir das Weben der Gefühle,
Das Herz in Bitternis getaucht …
Soll ich Vergangenes nicht beschwören?
Soll, was da war, nie wieder sein?
Die Fichten nicken dunkel, hören
Gelassen zu und flüstern Nein.
Und da: ein ungeheures Lärmen,
Ein Ineinanderwehn von Zweigen,
Ein Rauschen wie von Vogelschwärmen,
Die, einem Ruf gehorchend, steigen.
Iwan Sergejewitsch Turgenjew
Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.