Die Schildkröte im Brunnen

Es war ein großer Garten

Dschami's Fabeln

Die Schildkröte im Brunnen

Es war ein großer Garten,
hatt' einen reichen Herrn,
Der drin hielt aller Arten
Gewächs und Tiere gerne.
Es täten Quellen springen,
Und schöne Bäume blühn,
Und bunte Vögel gingen
Luftwandeln durch das Grün.

Der Pfaue sprach zum Raben:
Dein rotes Stieflein
Sollt' ich am Fuße haben;
Es muß verwechselt sein.
Als uns der Herr gewogen
hervorrief aus der Nacht,
hast du dir's angezogen,
Mir war es zugedacht.

Ich nahm von schwarzem Leder
hier dieses aus Vesehn;
Es paßt zu deiner Feder,
Zu meiner will's nicht stehn.
So paßt nur mein Gefieder
Zum roten Stieflein;
Gib mir, was mein ist, wieder,
Und nimm zurück, was dein!

Der Rabe sprach dagegen:
Ein Irrtum ist geschehn,
Doch nicht der Stiefel wegen,
Am Kleid liegt das Versehn;
Denn einsehn muß ein jeder:
Es paßt ein buntes Kleid,
Und keine schwarze Feder,
Zu diesem Fußgeschmeid.

Als und der Herr erweckte
Vom Schlaf mit seiner Hand,
War ich betäubt und steckte
Mein Haupt durch dein Gewand;
So streckest du das deine
Aus meines Röckleins Zier:
Gib mir zurück das meine,
Und nimm das deine dir! -

Ihr Streit war ungeschieden,
Da hob ihr leises Ohr
Aus eines Brunnen Friedern
Die Schildkröt' empor;
Sie sprach mit ernsten Tönen,
Und jene horchten gern:
Was wollt ihr habend höhnen
Die Weisheit eurer Herrn?

Es tat der Herr, der Meister,
Nur was ihm billig schien;
Nicht einem seiner Geister
hat alles er verliehn.
Er hat sein Gut verteilet
Zu vieler Pfründner Glück;
Und was im Garten weilet,
Ein jedes hat ein Stück.

Dem Pfauen, sich zu brüsten,
hat er gestickt das Kleid,
Dem Raben nach Gelüsten
Geschmückt das Fußgeschmeid.
Und wem er hat gegeben
Ein ungeschmücktes Sein,
Der dank' ihm auch das Leben,
Das den sehn sein Schmuck allein

Friedrich Rückert

Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung

Unkraut im Garten der Seele

wenn du noch auf dem Rad des Lebens

Warum jätest du Unkraut im Garten der Seele, wenn du noch auf dem Rad des Lebens rollen willst? Es ist wahr, am schädlichsten sind einige Pflanzen darin; Aber pflücke sie, wenn du das Ganze beeinträchtigen willst.

Abdul al-Maharri

Abdul al-Maharri (Abulola Moarrensis) (973 – 1057), arabischer Philosoph, Dichter

Die Biene

Flughauch läßt klingen

Die Biene

Die kleine Seele
Zarter Symbole
Taucht in das Füllhorn
Früher Gladiole,
Schöpft weiße Schaummilch,
Brockt gelbe Bretzel,
Folgt eines Windes
Freundlichem Rätsel.

Flughauch läßt klingen
Goldtropfenblumen;
Da sie noch schwingen,
Löst sie die Krumen.
Winziger Engel,
Summende Flocke,
Rührt sie den Schwengel
Glitzernder Glocke.

Des Kindes Auge,
Das Gott zerbrochen,
Eh' es zu Rosen
Leuchtend gesprochen,
Schwebt aus den Lidern,
Die sich ihm sperrten,
Hängt braun und samten
An Sonnengärten.

Gertrud KOlmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ich hatt einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen, so lieblich und hold,
Wohl that ich das Blümchen versorgen;
Ich hütet‘ es baß, wie Demanten und Gold,
Und schaut‘ es am Abend und Morgen.

Voll‘ Freude bemerkt‘ ich, wie schön es gedieh,
Doch währte die Freude nicht lange
Es senkte das Häuptchen und duftete nie:
Mir ward um das Blümchen so bange.

Da kam einst ein Mädchen im Garten zu mir
Ich ließ es ja gerne geschehen;
Stolz hob sich das Blümchen, und prangte vor ihr,
Nie hatt‘ ich so schön es gesehen.

Schnell bückt‘ sich das Mädchen und pflückt‘ es für sich,
Mir waren die Sinne geschwunden;
Nicht Worte, nicht Lieder beschreiben, was ich
Bei diesem Verluste empfunden.

Ich konnte nicht klagen, doch thränenvoll hing
Mein Auge noch lang an der Stelle;
Da hört‘ ich ein Stimmchen, als wimmernd ich ging,
Es tönte so silbern und helle.

Du pflegtest ein Blümchen zwar lieblich und schön,
Doch lohnt es die Pflege nur selten:
Denn Männertreu heißt es, meist wirst du es sehn
Die Liebe mit Undank vergelten.

Therese von Artner

Therese von Artner (1772 – 1829), ungarische-deutsche Schriftstellerin