Der verflogene Falke Hielt einmal ein König mächtig Einen Edelfalken prächtig, Und ihn auf der Hand zu tragen War sein einziges Behagen. Einst, zum Jagen ausgesendet, hat er sich zur Flucht gewendet; Und auf seines Daches Balken Fand ein Bau'r den Edelfalken. Müde schien er von der Reise, Laden wollt' er ihn zur Speise. Doch er sah die scharfen Fänge Und des krummen Schnabels Länge. "Gerstenkörnchen aufzupicken Wird der Schnabel sich nicht schicken, Und es werden diese Krallen Dir im Sehn beschwerlich fallen." Also stutzt er ihm die Fänge, kürzet ihm des Schnabels Länge, Und als er ihn ganz verschändet, Glaubt er alles wohl vollendet. Hat indes der Fürst befohlen, Seinen Flüchtling einzuholen. Auf des Bauernhaufes Balken Finden sie den Edelfalken, Den entadelten, und bringen Ihn zurück mit schlappen Schwingen. Doch der König ihn berachtend, Erst bedauernd, dann verachtend, "Mir hinweg vom Angesichte," Rufet er, "mit diesem Wichte! Werfet ihn hinab die Stufen Und laßt über ihm ausrufen: Dieses ist die Strafe dessen, Der so pflicht= als ehrvergessen, Seine Stell' und einen passend Ehrenvollen Dienst verlassend, Wilder Luft nach, dahin rennet Wo man seinen Wert nicht kennet." Friedrich Rückert
Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung
aus: „Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenlande“ von Friedrich Rückert. Verlag von Gustav Bethke, Berlin , 1837 Seite 43 – 45