Der Frühling

Als das Herz mit ihm bekannter Weisen

Der Frühling
(an die Frau von Wrech)

Freundin dessen, der die Welt regieret,
Der an diamantnen Ketten führet
Jene Sonnen über unserm Haupt!
Sieh'! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen
Mit dem Schmuck, den ihm der Herbst geraubt.

Siehe! wie beflügelt er gekommen
Und die Trauer der Natur benommen.
Wie er sie schon jugendlich geschmückt,
Mädchen, die den Lenz im Antlitz haben,
Männer, Jünglinge und kleine Knaben
Und der Greiß, der sich am Stabe bückt;

Alles geht, gereizt von den Gerüchen
Junger Veilchen, die so niedrig kriechen
Und doch edler, als die Tulpen sind!
Und der Hyacinthen ofne Glocken
Duften Balsam, den um seine Locken
Dir entgegen trägt der Frühlingswind.

Blat und Frucht, die in der Knospe lagen
Dringen sich des Schöpfers Lob zu sagen,
Aus der Hülle nun mit Macht hervor.
Wenn die stummen Redner prächtig blühen,
Steigt, in regellosen Symphonien
Aus den Zweigen ein Gesang empor!

Ohne Muse, ohne Kunst und Schriften
Singt die Lerche, schwebend in den Lüften,
Unaufhörlich ihr pindarisch Lied
Unter ihr, in früher Tagesstunde,
Singt mit bäurisch vollgenommnem Munde
Auch die Einfalt, welche Furchen zieht!

Lämmer, die noch an den Müttern saugen,
Blöken dem zum Lobe, dessen Augen
Das Insekt im Staube kriechen sehn.Ihn muß so der Wurm im Grase preisen,
Als das Herz mit ihm bekannter Weisen,
Als die Räder, die den Weltbau drehn.

O du Tochter seiner Lieb und Güte,
Der in jedem Lenz die junge Blüthe,
Und die grüne Saat sein Lob beschreibt.
Höher, als der Dichtgeist in dem Fluge
Preisest du mit jedem Athemzuge
Einen Gott, der deine Freude bleibt!

Alles singt ihm. – Seine Nachtigallen
Oft behorchend, will ich Lieder lallen
Voll vom Lobe dessen, der mich schuf;
Bienen, die auf Lindenwipfeln summen,
Und des Fleisses Lehrer, jene Stummen
Im Erdhaufen, werden mir ein Ruf!

Anna Luise Karsch

Anna Luise Karsch, geborene Dürbach (1722 – 1791), deutsche Dichterin, Schriftstellerin

Liebe

Bis daß sie im Herzen

Liebe

In kindlicher Seele
erdämmert die Liebe,
wie Grünes der Erde
im Frühling entkeimt.

Im Herzen der Jungfrau
da knospet die Liebe,
von künftiger Herrlichkeit
sinnend sie träumt.

Bis daß sie im Herzen
des Weibes entfaltet
zu üppigster Blüte
19berauschend erprangt.

Im Herzen der Mutter
zur edelsten Reife,
zur Krone des Alls,
zur Vollendung gelangt

Clara Müller-Jahnke,

Clara Müller-Jahnke, geborene Müller (1860 – 1905, deutsche Dichterin, Journalistin, Frauenrechtlerin

Frühlingsgedanken II.

Nach solchen Glückes heiligen süßen Spenden

Frühlingsgedanken

II.

Nicht wahr, ihr Alle wünscht, wenn einst die Stunde

Gekommen, wo die andern Wünsche enden,

In eurer Lieben Mitte zu entsenden

Den letzten Hauch vom todesblassen Munde?

Verlangt es mich im tiefsten Seelengrunde

Nach solchen Glückes heilig süßen Spenden,

Muß ich mich an den holden Frühling wenden,

Den einz'gen Freund, mit welchem ich im Bunde.

Und weil kein and'rer Gruß die dunkle Gruft

Mit Liebesschimmer sanft mir wird umfärben,

Wenn nicht sein Gruß als Licht und Sang und Duft,

Möcht ich mir dieses milde Loos erwerben:

Zur Zeit der Blühten und der sonn'gen Luft
An schönen Frühling's schönstem Tag zu sterben!

Betty Paoli

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Frühlingsgedanken I.

Fort trieb mich’s an den Busen der Natur

Frühlingsgedanken

I.
 Fort trieb mich's an den Busen der Natur
Aus meiner Zelle, d'rin ich lang verschlossen,
Und staunend sah mein Auge Wald und Flur
Von Sonnenstrahlen goldig übergossen.

Es sprach das Licht: O sag! was trauerst du?
Kann meine Macht dein Dunkel nicht versüßen?
Und liebvoll säuselte die Luft mir zu:
Ich will die Thräne dir vom Auge küssen!

Der rasche Strom sang mir ein brausend Lied:
Des Lebens Hast magst du in meiner sehen!
Und als die Sonne fern von hinnen schied,
Sprach tröstend sie von Sterben und Vergehen!  -

Betty  Paoli

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Frühlingsahnung

Doch ich weiß: zur Wonne geht

Frühlingsahnung

Wenn des Winters starrer Traum
Berg und Flur mit Schnee bedecket,
Jeder dürre Zweig am Baum
Jammernd sich gen Himmel strecket:

Kannst du da begreifen, sag′
Wie nach wen′gen Mondesneigen
Der jetzt frosterstarrte Hag
Einen Blüthenflor wird zeigen?
 
Doch du weißt, der lichte Trost
Naht auf unsichtbaren Wegen
Und im rauhen Winterfrost
Lächelst du dem Lenz entgegen.

Und so kann, so kann auch ich
Nicht begreifen und nicht fassen,
Wie in meiner Seele sich
Noch ein Glück wird ziehen lassen.

Doch ich weiß: zur Wonne geht,
Wer da wallt auf Dornenbahnen,
Und durch meinen Winter weht
Ein tief selig Frühlingsahnen!

Betty Paoli 

Barbara Elisabeth Babette Glück (1814-1894), österreichische Dichterin, Übersetzerin, Journalistin, Schriftstellerin, Publizistin, Sprachlehrerin, Erzieherin,Novellistin. Pseudonyme: Barbara Grund, Betti Paoli, Branitz.

Das Rosenknöspchen

Ein Hänflingweibchen, das mit Luft

Das Rosenknöspchen

Ein zartes Rosenknöspchen fand
Ich neulich, das im Lenzgewand
Auf schlankem Stengel glühend stand,
Betaut vom frischen Morgen.
Zwei Frühlingsnächte schwanden kaum
Seit ihm erblüht des Lebens Traum,
Und Duft es haucht' am Wiesenschaum
Bei himmelblauem Morgen.

Ein Hänflingweibchen, das mit Luft
Sein Nest im Busch zu baun gewußt,
Saß neben ihm, die warme Brust
Vernetzt vom tauigen Morgen;
Bald sieht's vielleicht in Mutterglut,
Wie Schwingen hebt die jung Brut,
Und zwitschernd über Wald und Flut
Begrüßt den heitern Morgen.

So du, lieb Vöglein, zarte Maid,
Erblüht in holder Sittsamkeit,
Lohnst auch der Pflege, dir geweiht
An deines Lebens Morgen;
Ein Rosenknöspchen, jung und schön,
Wirst du im Blumengarten stehn,
Und Segensduft den Lieben wehn,
Die dich bewacht am Morgen!

Robert Burns

Robert Burns (1759 – 1796), schottischer Dichter, Schriftsteller.

aus: Robert Burns‘ Gedichte, übersetzt vom schottischen ins deutsche von. Wilhelm Gerhard. Mit des Dichters Leben und erläuternden Bemerkungen. Gedichte, Lieder und Balladen. Seite 153 – 154

Schneeglöckchen

O Liebchen, lass uns Frieden schließen

Schneeglöckchen

1
Mit dem ersten Lächeln der Natur,
Mit des Frühlings erstem, warmen Kuß,
Mit dem ersten Blümchen unsrer Flur,
Biet' ich, Freundin! dir der Liebe Gruß.
Flüchtig ist der Erbe Freud' und Glück,
Wie die Lenzes früher Sonnenblick,
Flüchtig und freundlich ist Blümchens Leben,
Wie ein Kuß, den die Liebe gegeben.

2
Schneeglöckchen bist ein armes Kind,
Mußt hinaus in Frost und Wind,
Und wenn die Schwestern zum Sonnenfest kommen,
Und ihres bunten Schmucks sich freun,
hat Mutter dir dein Kränzchen genommen,
Dich eingeschlossen in's Kämmerlein!
Arm Blümchen im dunklen Erdenschoß
Teilest wohl mit Manchem dein finsteres Los.

3
Schneeglöckchen sind die Engel, die der Schöpfung
Den Tag der Auferstehung still verkünden,
Sind weiße Tauben, die der Frühling ausschickt,
Zu forschen droben, ob es warm genug
Für seine Blumenkinder sei,
Daß er sie wecke aus dem langen Schlummer
Und an das goldne Licht die Kleinen sende.

Johann Martin Hutterus

Johann Martin Hutterus (1810 – 1865), deutscher Schriftsteller

Des Narren Herbstlied

Bunt wie mein Mantel und Kleid

Des Narren Herbstlied

Bunt wie mein Mantel und Kleid
Wird nun die Welt, oh weh.
Lacht mir das Herz im Leib,
Wie ich das feb.

Einft war ich jung und frisch,
Eija, da war ich grün,
Grün wie die Weide, daran
Maikätzchen blühn.

Dann kam die Zeit, die Schnitt
Falten ums Maul mir schief.
Grinfen lernte ich da
Und weinte tief.

Trug bald ein bunt Gewand,
Schuppen und Schellen daran,
Webe, es klirrt, wenn ich spring,
Ich alter Mann.

Holla, ein bunter Narr!
Holla, ein Klimperkleid!
Holla, die Welt wird bunt,
Und ich gescheit.

Laßt mich nun schlafen geh'n,
Legt mich ins Grab hinein!
Ueber ein Kleines, ach,
Wird Frühling sein.

Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.

Jahreszeiten

Grüne Jugend, was prahlst du so

Jahreszeiten

Grüne Jugend, was prahlst du so?
Ein jeder Halm wird endlich Stroh.


Paul Heyse

Paul Johann Ludwig Heyse (1830 – 1914) deutscher Schriftsteller, Übersetzer, Dramatike

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862)