Die Jahreszeiten

Die grünen Erbsen brauch‘ ich schon gar gekocht

 Die Jahreszeiten

Genieße, was die Jahreszeit mit sich bringt:
Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen,
Was der Veränd'rung in Sonne und Luft entspringt;
Ist stets das beste für deinen gebildeten Gaumen.

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und keusch
Und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen;
Die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch,
Die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen.

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein,
Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber;
Ich mache sie trunken zuvor mit gezückertem Wein,
Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber.

Die grünen Erbsen brauch' ich schon gar gekocht;
Die tolle Jugend allein frißt sie aus den Schoten.
Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,
Und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß' ich fast nur
Als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung
Im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur;
Es gröhlen die Därme im Chor den Gesang der Verdauung. -

Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,
Wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;
Doch hab' ich den ganzen Hymnus schon vollgespuckt,
So läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen. 

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Ich bin so wild auf deinem wilden Erdbeermund

im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar

Eine verliebte Ballade für Yssabeau d’Außigny


Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Da will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir, und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart
für mich so tief im Haar verwahrt...
Ich such ihn schon die lange Nacht
im Wintertal, im Aschengrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei.
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
... ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Paul Zech

Paul Zech

Paul Zech deutscher Schriftsteller, Dichter, Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Übersetzer.

aus: „Die lasterhaften Lieder und Balladen des François Villon“. Verlag Erich Lichtenstein, Weimar, 1931.

Das Gedicht ‚Eine verliebte Ballade für Yssabeau d’Außigny‘ auf den Seiten 78 – 79)

François Villon ( 1431 – 1474)