Liebe und Schönheit Prometheus hatte nun den Mensch vollendet, Doch unbeweglich blieb der tote Stoff, Bis er der Sonne Funken hat entwendet; (Ein Tropfe, der der Schönheit Meer enttroff) Doch dieser Funke, er entflammt im Bilde, In das des Künstlers Weisheit ihn verhüllte. Von Schönheit ist dies Leben ausgegangen, Doch es vergisst den hohen Ursprung nicht; Es strebt zu ihm, und Lieb ist dies Verlangen, Die ewig ringet nach dem Sonnenlicht. Denn Lieb ist Wunsch, Erinnerung des Schönen, Die Schönheit schauen will der Liebe Sehnen. Drum kann die Liebe nimmer sich genügen, Denn sie ist nimmer reich in ihrem Reich; Drum sucht sie Schönheit sich ihr anzufügen Und bettelt ewig vor der Schönheit Reich. Doch ach! unendlich ist das Reich des Schönen, So auch unendlich unsrer Liebe Sehnen. Karoline von Günderrode
Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderrode (1780 – 1806), deutsche Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Wandel und Treue – Gedichte“ von Karoline Günderode. Verlag: Rütten & Loening, Postdam, 1900. Seite 22